: Hauptsache Hauptstadt!
Berliner Ökonomie, Teil zwei: Der mutmaßlich frauenfeindliche Mädchenhandel in Mitte und die Realität, die dann doch ein wenig anders aussieht ■ Von Helmut Höge
Die Stadt verprostituiert sich gnadenlos, meint der Spiegel-Berlin-Chef: Alles wird gefördert, wenn es nur Geld einbringt. Michael Sontheimer dachte dabei vor allem an die Love Parade. Niemand scheint so ungeeignet, diesem Megatrend entgegenzutreten wie unsere sympathische Arbeitssenatorin Frau Bergmann – die einstmals schönste Kirchenchorsängerin Jenas. Trotzdem wagte sie neulich mutig eine PK zum aktuellen Stand der Bekämpfung des Mädchenhandels auf der „Drehscheibe Berlin“.
„Die Politik ödet den Kritiker allmählich an“, schrieb anderntags die junge Welt dazu und vermißte in Sonderheit die historische Tiefe bei der Ost-SPD-Senatorin. Geschichte beginnt nämlich stets mit einem Frauenraub, und Kultur entsteht (wenn überhaupt) nur über den Austausch von Frauen! Das reicht hier bis zu den sowjetisch-planmäßigen Massenvergewaltigungen und den (marktwirtschaftlich-fundierten) „Amihuren“. Bereits 1946 schrieb die Stars & Stripes: „Die deutsche Frau ist die beste von allen. Sie allein versteht es, einen lockeren, freien Lebenswandel mit einer Würdigung all dessen, was männlich ist, zu verbinden!“
Hier und heute scheint sich eine Re-Version anzubahnen: In der BZ werden immer mehr langbeinige „Krim-Modelle“, „Baltik-“, „Kaukasus-“ und sogar „sibirische Modelle“ angeboten. Letztere kommen – schiere Ironie der Geschichte – aus Workuta! (Ohne Witz!) Und heißen: Vera, Ljubow und Nadjeschda (auf deutsch: Glaube, Liebe, Hoffnung).
Frau Bergmann stützt sich als DDRlerin vor allem auf Berichte der Polizei (Ermittlungsgruppe Menschenhandel, Andreas Reinhardt) und der Staatsanwaltschaft (Dr. Fätkinheuer). Dort sieht sie primär auch den „Handlungsbedarf“ angesiedelt. Nichts könnte falscher und verderblicher sein! Erstens sind diese männlichen Beamten per definitionem unfähig und faseln nur ständig wichtigtuerisch was von „Mafia“, und zweitens sind selbst die wirklich engagierten weiblichen Ärzte und Sozialarbeiter in den Prostituierten-Beratungsstellen qua Amt erkenntnismäßig schwer gehandicapt – insbesondere, seit die Ostasiatinnen zunehmend von den gegenüber Behörden noch allergischer reagierenden Osteuropäerinnen abgelöst werden.
Einmal schickte mich die Besatzung eines Weddinger Thai-Puffs in Frau Bergmanns Arbeitsbehörde, wo ich mich nach Umschulungs- und Existenzgründungs- Möglichkeiten erkundigen sollte. In jedem Büro saßen Feministinnen, die sich für ihre deutschen Geschlechtsgenossinnen mit Abitur einsetzten. Eher hätte ich aus dem SPD-Hinkelstein auf dem Platz der Vereinten Nationen Gold rausschlagen können, als von ihnen Hilfe für die drei Thai-Landarbeiterinnen zu bekommen: Es war eine meiner niederschmetterndsten Politik-Erfahrungen. Zwei der Thai-Frauen arbeiten jetzt im „Mädchenhandel“: Für interessierte Frauen in Bangkok suchen sie „Paper-Husbands“ meist unter deutschpässigen Arbeitslosen (früher verlangte so einer 10.000 Mark, jetzt, im Osten, nur noch 4.000, Tendenz fallend), dann besorgen sie Flug, Papiere etc. Die Betreffende muß das alles einschließlich Risiko für 15.- bis 20.000 Mark in einem Puff abarbeiten.
Das ist der ganze „Menschenhandel“ – und wenn die Frau die Raten nicht zahlen kann, dann können die „Händler“ auch nicht viel machen. In Berlin wird mit den Arbeitsplatzverlusten das Geld immer knapper, in manchen Thai- Puffs verdienen die Mädchen nicht einmal mehr genug Geld, um sich von Däng und Mos fahrender Thaiküche Essen kommen zu lassen: Sie kochen selbst. Immer mehr Thai-Puffs ziehen (sich) nach Bad Salzuflen oder Süddeutschland (zurück). Schuld daran sind auch die Osteuropäerinnen, ich rede nicht von den vielen ostdeutschen Frauen, die für niemanden eine wirkliche Konkurrenz sind, weil sie sich für was Besseres halten (und im Leipziger Eros-Center 100 Mark mehr als die Asiatinnen nehmen). Bei abnehmender Freierzahl gehen sie wieder in den Einkaufs-Centern arbeiten.
Neulich versuchten zwei polnische Kellnerinnen aus Gdansk, die hier als Prostituierte arbeiten, einen Job in einer Kneipe zu finden: Nicht einmal die wüstesten Türken-Wirte mochten sie mit ihrem Touristenpaß schwarz einstellen.
Scheinehe einführen, Liebesheirat verbieten
Im Gegensatz zu den Sinti-Bulgarinnen rund um die Kurfürstenstraße bewiesen die beiden jedoch Marktpfiffigkeit: Sie spezialisierten sich auf reiche Westberlin- Rentner, und eine bekam von so einem bereits einen Brillantring und eine Wohnung samt Einrichtung in Hennigsdorf „gesponsort“. Der Haupt-„Handelsplatz“ für all die akademisch-ausgebildeten Sowjet-Frauen ist nach wie vor die Disco des Domhotels am Platz der Akademie, wo auch die verwelktesten BRD-Führungskräfte noch von knackigen russischen Freifrauen gefunden werden, ohne daß sie es merken.
Eine, inzwischen in Steglitz verheiratet, hat sich nebenbei noch auf den „Verkauf“ von Ukrainerinnen an Rollstuhl-Berliner spezialisiert: Dabei geht es nur um die fast risikolose „Vermittlungsgebühr“ von 3.000 bis 5.000 Mark, ist aber auch mit viel Arbeit und Ärger verbunden. In Treptow verheiratete neulich umgekehrt ein hessischer Unternehmer seine ukrainische Freundin mit einem Ost-Ingenieur, dem er dafür einen Dauerarbeitsplatz gab. Die türkischen „Mädchenhändler“ sind fast alle arbeitslose, aber attraktive Männer, die für von Abschiebung bedrohte Landsleute deutsche Frauen aufreißen – und vermitteln, wofür sie zwischen 1.000 und 10.000 Mark verlangen...
Der meiste Mädchenhandel ist nicht weiter von einem Eheanbahnungsinstitut entfernt als das Arbeitsamt von den Zeitarbeitsfirmen. Ich will diese Sauerei nicht verniedlichen! Und wer bei den Scheinehen – zwischen Deutschen und Thailänderinnen, aber auch Sibirierinnen – wirklich „versklavt“ wird, steht sowieso noch lange nicht fest, auch wenn feministische Forscherinnen einen mörderischen Mädchenhändlerbericht nach dem anderen releasen!
Es gibt 550 Bordelle in Berlin, so viele wie Banken in Frankfurt, und nach meiner Kenntnis der Dinge, die etwas genauer als die der Polizei ist, würde ich – ganz im Sinne einer gesunden „Berliner Ökonomie“ – eher für die Legalisierung der Scheinehe und für ein völliges Verbot der Liebesheirat plädieren. Nur diese basiert nämlich auf einem (bürgerlichen) Betrug! Völlig zu Recht annoncieren deswegen nur die Scheinheiratswilligen stets mit dem Zusatz „ehrliche Absichten“.
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