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■ Der längste Zivilprozeß in der britischen Geschichte endete gestern in London mit einem Sieg für McDonald's. Zwar wurden zwei Umweltaktivisten wegen Verleumdung verurteilt. Eigentlicher Verlierer aber ist der Junk-food-Konzern.Ein Pyrrhu

Der längste Zivilprozeß in der britischen Geschichte endete gestern in London mit einem Sieg für McDonald's.

Zwar wurden zwei Umweltaktivisten wegen Verleumdung verurteilt. Eigentlicher Verlierer aber ist der Junk-food-Konzern.

Ein Pyrrhussieg für Big Mac und Co.

Das Fast-food-Unternehmen McDonald's hat den Prozeß gegen zwei britische Umweltaktivisten gewonnen, die dem Konzern in einem Flugblatt Ausbeutung, Umweltzerstörung und Gesundheitsgefährdung vorgeworfen hatten. Helen Steel (31) und Dave Morris (42) wurden gestern vom Londoner High Court wegen Verleumdung des Hamburger-Multis zu 60.000 Pfund (etwa 168.000 Mark) Schadensersatz verurteilt. In ihrem Urteil gaben die Richter dennoch den Umweltschützern in wesentlichen Punkten ihrer Anschuldigungen recht. So sei die Behauptung richtig, daß McDonald's niedrige Löhne zahle, Kinder für seine Werbung „mißbrauche“ und seine Fleischprodukte von „grausam gequälten“ Tieren gewinne.

Es war der längste Zivilprozeß in der britischen Geschichte. Nach 313 Verhandlungstagen verurteilte das Gericht zwar die beiden Aktivisten – eigentlicher Verlierer aber ist McDonald's, die Fleischbrötchenkette mit einem Umsatz von 30 Milliarden Dollar im Jahr. Die Manager haben ihre Verleumdungsklage längst bereut.

Angefangen hat das Ganze 1986. Vor den britischen McDonald's-Filialen verteilen Mitglieder von London Greenpeace – nicht verwandt mit Greenpeace International – immer wieder Flugblätter, in denen der Junk-food- Konzern für viele Übel dieser Welt verantwortlich gemacht wird: McDonald's zerstöre die Erde, ruiniere die Gesundheit, bringe Millionen Tiere um und bereichere sich auf Kosten der Armen. Zunächst ignorieren die Brötchenbauer die lästigen Aktivisten, doch als sie immer wieder die Eröffnungen neuer Hamburger-Ausgabestellen – jedes Jahr kommen weltweit rund 3.000 hinzu – stören, beauftragt der Konzern vier Privatdetektive, London Greenpeace zu unterwandern. 1990 reicht McDonald's Klage gegen fünf Flugblattverteiler ein, drei von ihnen distanzieren sich vor Schreck von dem Flugblatt. Helen Steel und Dave Morris sind dazu nicht bereit.

„McLibel“, wie nach dem Wort „libel“ (Verleumdung) der Prozeß flugs genannt wird, nimmt ab September 1990 seinen Lauf. McDonald's bietet die besten Rechtsanwälte des Landes auf, Steel und Morris müssen sich selbst verteidigen, weil ihr Antrag auf freie Rechtshilfe abgelehnt wird. Aber sie haben nichts zu verlieren. Steel arbeitet am Wochenende in einer Kneipe, Morris bezieht Sozialhilfe.

Der Hackfleischgigant gibt während des Prozesses täglich 15.000 Mark aus, die Gesamtkosten dürften sich auf mehr als 10 Millionen Pfund (28 Millionen Mark) belaufen. Die beiden Beklagten haben dagegen insgesamt nur 100.000 Mark für die Reisekosten ihrer Zeugen zur Verfügung. Das Geld kommt aus Spenden zusammen. Einer ihrer Zeugen ist der Schauspieler, der früher den lustigen Ronald McDonald in der Fernsehwerbung spielte. Er entschuldigt sich vor Gericht bei den Kindern, die er einer Gehirnwäsche unterzogen habe, damit sie Produkte von einem Unternehmen kaufen, das Millionen mit dem Mord an Tieren verdiene.

So gut läuft es nicht immer. Morris und Steel sollen mühsam jede Behauptung auf dem Flugblatt beweisen, das sie gar nicht verfaßt haben. In den ersten sechs Monaten werden im Gerichtssaal wissenschaftliche Debatten über Massentierhaltung und Verpackungsmaterialien, über Fragen des Arbeitsrechts und der Kinderpsychologie ausgetragen.

Manchmal sind die Aussagen aber auch von verblüffender Schlichtheit. Die McDonald's-Anwälte zitieren den Chef der japanischen Filialen, Den Fujita. „Die Japaner sind so klein und haben gelbe Haut, weil sie seit zweitausend Jahren nur Fisch und Reis essen“, hatte er zur Eröffnung der ersten Niederlassung in Japan gesagt. „Wenn wir jetzt tausend Jahre lang McDonald's-Hamburger und -Pommes-frites essen, werden wir größer, unsere Haut wird weiß, und wir werden blond.“ Der Schriftsteller Auberon Waugh nennt den Prozeß „das beste kostenlose Freizeitprogramm in London“.

Dann macht der Konzern einen Fehler: Er veröffentlicht ein eigenes Flugblatt, in dem er die schöne neue McWelt preist. Nun können Steel und Morris die Beweislast umkehren. McDonald's zahle keine Hungerlöhne, ziele mit seiner Werbung nicht auf minderjährige Kundschaft ab und verkaufe nahrhafte Kost? Der Staranwalt Richard Rampton kommt bei der Beweisführung ins Schleudern. Die Rollen sind ohnehin längst vertauscht: Die beiden „McDavids“ treten wie Kläger auf, „McGoliath“ muß seine fettigen Mahlzeiten verteidigen.

Den Propagandakrieg hat McDonald's verloren

Zwischendurch versucht die Firma immer wieder, Steel und Morris zum Aufgeben zu überreden. Die Beschuldigten müssen nur einsehen, daß sie unrecht haben, dann sei die Sache vom Tisch. Richter Rodger Bell sagt, darüber würde er sich auch freuen. Er ist erst ein Jahr vor Prozeßbeginn zum Richter ernannt worden – viel mehr als den Saal 35 des Londoner High Court hat er in seiner Karriere noch nicht kennengelernt. Doch er muß die Sache bis zum Ende durchstehen. „Ein völlig unpolitischer Prozeß“, behauptet Mike Love, McDonald's-Werbechef in Großbritannien, der früher für Margaret Thatcher gearbeitet hat. „Es geht lediglich um die Pflicht, die Wahrheit zu sagen. Eine ganze Menge Leute vertrauen uns, und die Anschuldigungen schmälern das Vertrauen.“

Dave Morris hat früher auch mal mit Margaret Thatcher zu tun gehabt. Als er 15 war, besuchte sie seine Schule, weil sie damals Bildungsministerin war. Seine Mitschüler, sagt Morris, mußten ihn daran hindern, ihr einen Knallfrosch vor die Füße zu werfen. Er sei sozialistisch und humanistisch erzogen worden, sagt er. Weil er nicht zur Mittelklasse gehören wollte, weigerte er sich zu studieren. Helen Steel, Tochter einer Lehrerin und eines Angestellten, ist mit 22 bei London Greenpeace eingetreten. Eigentlich interessierte sie sich damals mehr für die Aktivitäten der Weltbank. Doch in den achtziger Jahren erwachte auch in England das Bewußtsein von den schmutzigen Geschäften der Multis mit der Dritten Welt, von gesunder Ernährung und der Umwelt. Bei McDonald's schrillten die Alarmglocken, auf Kritik reagierte man allergisch, selbst wenn sie von einer kleinen Gruppe wie London Greenpeace kam.

Den Propagandakrieg hat McDonald's mit Pauken und Trompeten verloren. Hatten damals vielleicht ein paar tausend Menschen das heißumkämpfte Flugblatt gelesen, so haben Sympathisanten aller Länder inzwischen Millionen davon verteilt; von Australien bis zu den Philippinen, von Irland bis Tschechien kam es zu Demonstrationen gegen die Hamburger-Verkäufer; in England wurden die Aufnahmen für einen teuren Werbefilm ruiniert, weil Demonstranten ständig mit „McMurder“-Transparenten im Hintergrund herumliefen; die Internet-Seite zum Prozeß wurde jeden Monat von mindestens 1,5 Millionen Menschen angeklickt; es gibt ein Buch zu dem Fall, eine Fernsehdokumentation und ein Fernsehspiel, an dem der englische Regisseur Ken Loach mitgewirkt hat.

Darin kommt auch die merkwürdige Arithmetik des britischen Firmenchefs Paul Preston vor: „Wenn eine Million Menschen zu McDonald's gehen“, hatte er gesagt, „dann fallen nicht mehr als 150 Verpackungseinheiten Müll an.“ McDonald's hatte stets behauptet, ein Recyclingprogramm zu haben. Vor Gericht kam dann heraus, daß die Verpackungen nach erfolgter Trennung dennoch auf dem Müll landeten. Warum nicht gleich den Inhalt mit auf die Kippe? Vor Gericht hatte Anwalt Rampton ohnehin eingeräumt, McDonald's habe gar nichts dagegen, daß man seine Produkte als „Junk food“ bezeichne. Ralf Sotscheck

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