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Mord im Rathaus

Teil 6 des Enthüllungsromans: Drei Tage vor der Wahl ist der Bürgermeister verschwunden  ■ Von Silke Mertins

Was bisher geschah: Eine nackte Frauenleiche im Bürgermeisteramtszimmer versetzt die Stadt in Aufruhr. Die Sozis schleppen den Corpus delicti ins Büro von Ole von Schneutz (*), um den Verdacht auf die CDU zu lenken. Vergeblich. Im Kalender der Toten sind Termine mit Bürgermeister Henning Vroscherau und GAL-Spitzenkandidatin Christa Steger eingetragen. Beide wollen den Mord wahlkampfwirksam aufklären und brechen in die Firma ein. Doch die Beweise reichen noch nicht.

Des Bürgermeisters Stirn legte sich in zornige Falten. Nur noch wenige Tage bis zur Wahl und der Mord noch immer nicht aufgeklärt. Soviel war klar: Irgendwer, der ständigen Zugang zu den Regierungsgeschäften hatte, mußte der Hafenfirma Graber & Söhne, bei der die Verblichene Buchhalterin war, Informationen gesteckt haben. Bloß wer? „Es hilft nichts, wir müssen noch einmal suchen“, sagte Vroscherau. Innensenator Hartmut Schocklage und Genosse Walter Zett nickten beflissen.

„Ich will diesmal aber mit“, quengelte Schocklage, „bitte, bitte!“Seinen Wahlspruch von Virginia Satir, den er dreimal täglich vor sich hin brabbelte – „Fordern, was ich wirklich möchte; nicht erst auf Erlaubnis warten“–, ließ er diesmal außen vor. Da wollte Zett nicht nachstehen und bot sich als Bodyguard an. Vroscherau nickte, und los ging's im Schutz der Dunkelheit zum Hafen und durch die Hintertür ins Arbeitszimmer der Erdrosselten.

Eifrig wurde beim Schein der Taschenlampe in den Unterlagen gewühlt. „Oh, Gott“, murmelte Zett plötzlich. „Ich glaube, ich hab's.“Doch bevor der Fund besichtigt werden konnte, waren dumpfe Schläge zu hören. Die drei Helden kippten stöhnend zu Boden.

Als sie wieder erwachten, lagen sie in einem Kabuff, die Hände und Füße mit Klebeband gefesselt. Schocklage wimmerte herzzerreißend. „Reiß dich zusammen, du Memme“, sagte Vroscherau. Lieber sollte er mal sagen, wie er den Bürgermeister aus dieser unpäßlichen Lage zu befreien gedachte.

Derweil war in der Parteizentrale helle Aufregung ausgebrochen. Drei Tage bis zur Wahl, und der SPD-Spitzenkandidat und Erste Bürgermeister der Stadt war spurlos verschwunden. Wäre man unter anderen Umständen über die Unauffindbarkeit Vroscheraus nicht von Grund auf bekümmert, wollte man ihn nun doch gern zurückhaben. Parteichef Jörg Ochsenbier wollte die Genossen in kleine Suchtrupps einteilen. Doch wo sollte man anfangen?

Fraktionschefin Elisabeth Knausch war fest davon überzeugt, daß die Entführer sich alsbald melden würden. „Geld gibt's nicht“, wollte Finanzsenator Ortwin Wunde, kein Freund des Bürgermeisters, klarstellen, daß Lösegeldzahlungen nicht in Frage kommen. Eine Kreditaufnahme sei zudem nur für Investitionen statthaft, und Vroscherau sei eindeutig keine. „Wir können Henning höchstens austauschen.“Zum Beispiel gegen SPD-Fraktions-Vize Ingo Schleiß, an dem sei auch mehr dran.

„Am besten, wir besorgen ein Double“, fand Ochsenbier. Alle Augen richteten sich auf Gewerkschaftsboß Erhard Krumm, der sich erst kürzlich den gleichen Haarschnitt wie der Bürgermeister zugelegt hatte. Der Bart müßte natürlich ab, und er müßte etwas verkniffener gucken und geschwollener daherreden. Doch bei genauerer Betrachtung war Krumm doch nicht schmächtig genug, um als Vroscherau durchzugehen. Weinerliche Ratlosigkeit machte sich breit.

In dem Kabuff hingegen schritt man nun zur Tat. Genosse Zett, entschlossen, sich als Retter des Bürgermeisters zu profilieren, hatte begonnen, mit den Zähnen an der Klebeband-Fessel zu sägen. Der Geschmack entsprach nicht dem, womit Zett für gewöhnlich seinen Gaumen verwöhnte. Immer wieder mußte er würgen. Vroscherau warnte ihn, ihm nicht auf seinen guten Anzug zu vomieren. Schon der Speichel, der Zett bei seiner dentalen Schwerstarbeit entwich, ekelte ihn ziemlich.

Keiner gab ein Wort von sich. Nur das beständige Kreisen von Zähnen über Klebeband war zu vernehmen. Wieviele Stunden – oder gar Tage – wohl schon vergangen waren? Ob Hamburg schon gewählt hatte? Ob der Mörder schon entkommen konnte? Hunger und Durst quälte das sozialdemokratische Trio. Wenn doch nur Rettung in Sicht wäre!

Letzte Folge am Sonnabend

(*) Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind natürlich rein zufällig und vollkommen unbeabsichtigt.

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