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Verhindert Scherf den Lauschangriff?

■ Im Bundesrat fehlen noch drei Stimmen für den „großen Lauschangriff“: Rot-Grün dagegen, Schwarz-Rot in Bonn dafür

„Es wäre eine Schande und ein politisches Armutszeugnis, wenn dem große Lauschangriff durch die Bremer Sozialdemokraten zum Erfolg verholfen wird“, erklärte der grüne Politiker Martin Thomas dieser Tage in der Bürgerschaft und sah seinem SPD-Kollegen Horst Isola ins Auge: „Ich hoffe, daß sich die Position von Scherf und seine Bedenken durchsetzen.“

In der Tat könnte es so sein, daß die „Unverletzlichkeit der Wohnung“(Art. 13 Grundgesetz) nur dann geändert werden kann, wenn die Bremer Stimmen dafür gezählt werden können: 22 Stimmen „rotgrüner“Landesregierungen im Bundesrat fehlen der großen Bonner Koalition, die sich zu dieser Frage gebildet hat. Mit drei Bremer Bundesratsstimmen wären das 25 – von 68, die Grundgesetzänderung würde mangels Zweidrittel-Mehrheit scheitern. (vgl. taz 8.10.) Bei einer politischen Abstimmung Ende September hatte Henning Scherf sich dem großen Lauschangriff noch verweigert (vgl. 24.9.).

Die Bremer SPD-Fraktion hat sich dabei grundsätzlich für die Grundgesetzänderung ausgesprochen. „Ohne Begeisterung“, erklärt der innenpolitische Sprecher, Jens Böhrnsen, aber der SPD-Bundesparteitag in Nürnberg 1993 hatte Kriterien für einen Kompromiß mit der CDU formuliert und die sind weitestgehend realisiert: Der „Lauschangriff“auf die Wohnung darf nur bei richterlicher Anordnung geschehen und bei der Verfolgung „besonders schwerer Straftaten“. Wenn der Senat auf Betreiben Scherfs dennoch beschließt, daß Bremen im Bundesrat nicht zustimmt, dann gebe es darüber „keinen Konflikt mit der SPD-Fraktion“, versichert Isola. Beinahe ist er stolz darauf, daß der Bremer Bürgermeister sich dem SPD-Beschluß von 1993 nicht zu unterwerfen scheint.

Scherf war Wortführer der Kritiker auf dem Nürnberger Parteitag gewesen. In der Bremer SPD wird deshalb damit gerechnet, daß Scherf sich bundesweit mit seinem „Nein“profilieren wird, gerade nach den „law and order“-Tönen von Schröder und Voscherau. Das Justizressort hat für den Bürgermeister alle guten Argumente aufgeführt, die trotz des Parteitagsbeschlusses gegen den „großen Lauschangriff“sprechen: Sogar ein Beichtstuhl, ein Pressebüro oder eine Rechtsanwaltskanzlei könnte per „Lauschangriff“abgehört werden, wenn erwartet wird, daß der Verdächtige dorthin gehen könnte. Alle Zeugnisverweigerungsrechte sind damit ausgehebelt.

Offiziell heißt es, Scherf berate sich noch; wenn die rotgrünen Kabinette stehen, dann könnte seine Position im Bundesrat ausschlaggebend sein. K.W.

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