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Bildung für Couchpotatoes

Die Bildungslektion via TV ist in die Jahre gekommen. Dabei ist der Effekt vom Lernen an der Glotze gar nicht so schlecht. Die Zukunft heißt interaktives Fernsehen  ■ Von Martin Reichert

Fernsehen und Bildung: Im Zeitalter von Bärbel Schäfer und Hans Meiser ein Widerspruch. Oder? Mitnichten. Dank der immer noch behüteten Welt der öffentlich-rechtlichen Sender und ihrem pädagogischen Auftrag steht einer oft belächelten Fernsehbildung nichts im Wege, solange man den richtigen Knopf an der Fernbedienung findet. ARD und ZDF bestreiten trotz wachsenden Konkurrenzdrucks vierzig Prozent ihrer Programme mit Informationssendungen. Nachrichten, Magazine und Wissenschaftssendungen. Daneben gibt es nach wie vor die klassischen Bildungsangebote wie Schulfernsehen oder Telekolleg.

Allerdings geht auch hier der Trend weg vom klassisch-pädagogischen Fernsehen hin zum spaßig aufgepeppten „Edutainment“. So bezeichnet Ludwig J. Issing vom Institut für Medienpsychologie der Freien Universität Berlin Sendungen wie „Terra X“ oder „WISO“. Daß dieses Konzept nicht schlecht sein muß, beweist eine Untersuchung Issings zur „Knoff-Hoff- Show“. Die etablierte ZDF-Sendung versucht seit Jahren wissenschaftliche Themen einem breiten Publikum in unterhaltender Form nahezubringen. In Issings Studie wurden Zuschauer nach der Show gezielt zu den Inhalten befragt. Es stellte sich heraus: Fast die Hälfte des präsentierten Wissens war abrufbar. Ein beachtliches Ergebnis.

Keine Frage, für Issing sind die Vorzüge visuellen Lernens nicht von der Hand zu weisen: Das Fernsehen kann Theorie graphisch darstellen und Prozesse detailliert simulieren. Komplexe Theorien, sonst kaum verständlich und schon gar nicht interessant, lassen sich so ansprechend veranschaulichen. Lernprogramme im Internet oder auf CD-ROM machen sich diesen Vorteil schon seit langem zunutze, das Fernsehen steckt hier dagegen noch in den Kinderschuhen.

Rückblende. Das gute alte Schulfernsehen. Ein bärtiger Engländer steht frontal vor der Kamera und leiert eine Schulbuchlektion herunter. Schon damals hat das kaum jemanden fasziniert. Diese Zeiten sind zwar vorbei. Doch dafür versucht das Schulfernsehen heute gar nicht erst mehr, eine Alternative zum Klassenzimmer zu sein.

Beim WDR zum Beispiel beschränkt man sich auf „Motivationsfilme“, die den Schulunterricht ergänzen sollen. Zudem werden die Ausstrahlungen zunehmend auf den frühen Morgen verbannt. Der Kampf um die Einschaltquoten fordert Opfer. Die Zahl der sogenannten „Randzuschauer“, also Erwachsene, die sich im Schulfernsehen über mittelalterliche Buchkultur oder den Himalaya informieren, beschränkt sich so schnell auf ältere Damen mit Schlafstörungen, kinderreiche Hausfrauen, Schichtarbeiter oder ruhelose Arbeitssuchende.

Mit der Sendezeit sechs Uhr morgens hat das Telekolleg das gleiche Problem. Das Telekolleg ist eine Einrichtung der Kultusministerien und öffentlichen Rundfunkanstalten, es dient dem Erwerb der Fachhochschulreife. Die Teilnehmer lernen mit Hilfe täglich ausgestrahlter Unterrichtssendungen. Dazu gibt es Begleitmaterial. Alle zwei Wochen treffen sich die TV-Fernschüler zu einem betreuten Kollegtag.

Doch die Zahl der Abbrecher ist enorm. Die meisten Schüler sind berufstätig, darunter viele alleinerziehende Mütter. Es fehlen die Betreuung und der Kontakt mit den Mitlernenden. Ohnehin ist das Konzept in die Jahre gekommen. Die Mathematik-Sendungen beispielsweise sind mehr als zehn Jahre alt und didaktisch nicht gerade auf dem neuesten Stand. Die Zahl der Teilnehmer sinkt.

Die Zukunft weist hier in Richtung interaktives Fernsehen: Es sind bereits CD-ROMs im Angebot, der Bayerische Rundfunk hat einen Telekolleg-Internet-Anschluß eingerichtet. Privat schließen sich im Netz immer mehr Fachabiturienten in chat-groups zusammen. Mit Multimedia und neu produzierten Sendungen hofft man in Zukunft wieder mehr Interessierte anzulocken.

Die Industrie hat die Weiterbildungsmöglichkeiten der neuen Kommunikations- und Informationstechniken hingegen schon lange für sich entdeckt. Daimler- Benz hat hier den Stern mal wieder vorn: Akubis nennt sich das betriebsinterne Qualifizierungsprogramm der Stuttgarter. In einem Fernsehstudio sitzt ein Ausbilder, der live über Satellit an Schulungsräume in der ganzen Welt angebunden ist. Während er beispielsweise direkt am Objekt zeigen kann, wie eine Schraube angezogen wird, hat der Mitarbeiter in der Niederlassung vor Ort die Möglichkeit, ebenfalls live Rückfragen zu stellen.

Nach Angaben von Daimler- Benz ist das Programm bei den Firmenmitarbeitern sehr beliebt und wird immer stärker ausgebaut. Die Teilnahme an den Schulungen wird den Angestellten bescheinigt und dient als Qualifikationserwerb.

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