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Hilde Benjamins verbundene Augen

■ Marianne Brentzel über eine schreckliche Juristin aus den Zeiten des Realsozialismus. Eine einfühlsame Schilderung ohne gängige Klischees

In den letzten Jahren hat sich die Befassung mit „Täterinnen“ als eigener Zweig der Frauenforschung etabliert. Standen bisher in erster Linie NS-Täterinnen im Vordergrund des Interesses dieser Richtung feministischer Wissenschaft, so haben sich in diesem Jahr bereits zwei Autorinnen der Biografie einer Frau angenommen, die sich im Staat der SED sich über lange Jahre im Innenhof der Macht bewegte und maßgeblich die stalinistische Phase der DDR-Justiz mit prägte. Im Frühjahr erschien im Berlin Verlag von Andrea Feth der Band „Hilde Benjamin – Eine Biografie“ (siehe taz vom 6. Mai), nun hat die Dortmunder Autorin Marianne Brentzel einen weiteren Versuch unternommen, das Leben dieser Frau nachzuzeichnen und den Motiven ihres Handelns auf die Spur zu kommen. Stärker als Feth ist es ihr gelungen, vor allem für die Jahre bis 1945 Quellen zu erschließen und damit einige neue Einblicke zu vermitteln; für die Jahre ab 1945 standen ihr – offenbar dank der Zustimmung des Sohnes Michael Benjamin – die Kaderakten ihrer Protagonistin zur Verfügung. Doch blieb auch ihr das vom Sohn gehütete Privatarchiv verschlossen.

Gezeichnet wird das Bild einer extrem dogmatisch verhärteten Frau, einer „Parteisoldatin“, die, gepeinigt von Verfolgungsängsten, zu cholerisch-aggressiven Wutanfällen neigte – von den MitarbeiterInnen gefürchtet, als Großmutter geliebt. Zu welcher Apotheose sich Benjamins Parteifanatismus steigerte, verdeutlicht eine Passage aus dem Lebenslauf, den sie anläßlich der Parteisäuberungen Anfang der fünfziger Jahre schreiben mußte. Nach langen Jahren der Angst um das Leben ihres Sohnes, dessen Vater, der Kommunist und jüdische Arzt Georg Benjamin, 1942 in Mauthausen ermordet wurde, verstieg sie sich zu der Formulierung: „Von meinem Verhältnis zu meinem Jungen kann ich wohl sagen, daß unsere stärkste Bindung in unserer Gemeinsamkeit in der Partei liegt.“ Auf gleicher Linie liegt die völlige, auch emotionale Subordination unter den Parteiwillen, die soweit ging, daß sie nach der Übersiedlung in den Ostteil Berlins jeglichen Kontakt zur Mutter und Schwester in West-Berlin abbrach. Dies, obwohl die Familie sie während der Zeit der Verfolgung durch das NS- Regime konsequent unterstützte und zu schützen versuchte.

Wie Feth bemüht sich auch die Autorin der neuen Biografie zu Recht, sich von den Propaganda- Klischees der fünfziger Jahre zu lösen, auch andere Facetten des Wirkens dieser Frau jenseits ihrer Rolle als Protagonistin des Justizterrors zu verdeutlichen, ohne indes ihr immer wieder durchscheinendes Erschrecken über die menschliche Härte Benjamins gegenüber „Partei- und Klassenfeinden“ zu verbergen. Anders als Feth, deren Biografie die stilistische Spröde einer Dissertation eigen ist, wählt Marianne Brentzel eine literarisierende, eine erzählende Darstellung, vorgetragen im Brustton der sorgfältigen Recherche, als hätte sie zu manchen Zeiten gleichsam beoabachtend neben ihrer negativen Heldin gestanden und deren Monologe notiert. Doch täuscht dieser stilistische Kunstgriff. In den Schilderungen über die fünfziger und sechziger Jahre hat sich nicht nur eine Fülle an Detailfehlern und Ungenauigkeiten eingeschlichen. Zudem wiederholen sich, wie bereits bei Feth, die Überbewertung der offenen Funktion Benjamins als Vorsitzende Richterin beim Obersten Gericht bis Mitte 1953 und die Unterbelichtung ihrer Rolle als Mitglied von Parteigremien, die über Leben und Tod von Angeklagten entschieden, bevor Justizfunktionäre die vorfabrizierten Beschlüsse auf der Bühne des offiziellen Gerichtstheaters als eigene Entscheidung glaubhaft machen mußten. Die Autorin hat längst nicht ausgequetscht, was die Archive an Spuren zum Wirken Benjamins in diesen Jahren verzeichnen. Falco Werkentin

Marianne Brentzel: „Die Machtfrau – Hilde Benjamin 1902–1989“. Ch. Links Verlag, Berlin 1997, 398 S., 48 DM

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