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Bilder aus dem Dickicht der Stadt

Baustellen und Brechtstätten: Zum 100. Geburtstag des Dichters haben der Essayist Michael Rutschky und der Fotograf Juergen Teller dessen Spuren in Berlin gesichtet und gesichert. Brecht als Lesegerät  ■ Von Brigitte Werneburg

Da liegt das berühmte Paar begraben. Natürlich mußte ein Stein drauf. Andernfalls wüßte man ja nicht, wo es auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof zu finden ist. Tatsächlich markieren aber zwei Steine die Grabstätte. Weil sie eine Frau ist, hat sie einen fetten runden Stein bekommen, der als mütterlich zu dechiffrieren ist und sich in die Ecke der ziegelroten Friedhofsmauer duckt. Da er ein Mann ist, überragt sein Stein den ihren, er steht aufrecht und gibt sich als eine Art kleine Pyramide aus. Und weil diese Symbolik so unwahrscheinlich doof ist, verblüfft und fasziniert sie gleichermaßen. Michael Rutschky kommt in seinem Essay „Auf überwachsenen Pfaden“ kurz auf sie zu sprechen, aber so richtig ins Bewußtsein hebt die Grabstätte von Bertolt Brecht und Helene Weigel-Brecht erst Juergen Tellers Fotografie. Der zartfarbene Saum von gelben und violetten Löwenmäulchen, der quer über das Grab verläuft, ist die Würze auf dem altmodischen Denkmalensemble, das hier angerichtet wurde.

Das Grabmal von Brecht und Weigel ist einer der wenigen Orte, an denen sich die Wege des Autors Michael Rutschky und die des Fotografen Juergen Teller kreuzen. Daß ansonsten jeder für sich seinen Weg im Dickicht der Stadt findet, ist dem Projekt sehr dienlich, das „Der verborgene Brecht. Ein Berliner Stadtrundgang“ heißt und von der Leiterin des Literaturforum im Brecht-Haus, Inge Gellert, zum 100. Geburtstag des Dichters 1998 angebahnt wurde. Daß die Kuratorin Klara Wallner die unvorhersehbare Partnerschaft des Alltags- und nicht des Literaturhistorikers Rutschky mit dem Mode- und nicht dem Kunstfotografen Teller zuwege brachte, dafür kann man – in Anbetracht konventionellerer Möglichkeiten – nicht dankbar genug sein.

So gibt es kein doofes neumodisches Denkmalensemble à la „kritische Rekonstruktion“. Also die Beschwörung hauptstädtischer Glanzzeiten und guter wie böser Mythen, die auf mehr als Standortkultur nicht hinauslaufen kann. Brecht ist bei Rutschky das „Lesegerät“ zur kurzen Geschichte der wiedervereinigten Stadt. Der Dialog mit den Damen Dr. Gieseking, „Ärztin aus dem bürgerlich-selbstbewußten Zehlendorf“ und Dr. Goyschke, „Literaturwissenschaftlerin aus Greifswald“, bringt die notwendigen historischen Abschweifungen. Ihre Biographien reichen weit genug, um Brecht als eine – in ganz unzweideutig-zweideutigem Sinne – geteilte Erinnerung und Erfahrung beider Berlins zu zeigen. Aber glücklicherweise reichen sie nicht weit genug, um ein weiteres Mal den Schmus um die 20er Jahre zu wiederholen. Anlaß zu allerlei wilden Spekulationen finden die beteiligten Personen ohnehin genug.

Kurz, es entstand ein ausgesprochen geistesgegenwärtiger, aber kein zeitgeistiger Berlin-Band, in dem die Bilder den Text sowenig illustrieren, wie sich der Text auf diese Bilder stützt. Unverkennbar ist indes, daß die Geistesgegenwart ihr Feld auch am Rande findet. Der Glosse mehr noch als dem Essay ist wohl die Figur zuzuordnen, von der Michael Rutschky nicht lassen kann und die übrigens nicht nur die Rezensentin, sondern auch er selbst manchmal verflucht, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen: die Figur des Jungmenschen, die teils wohl eine Kritik der Ideologiekritik verkörpern will und teils doch eher einen nervenden Phantomschmerz des Autors in Zeiten der ideologischen Ernüchterung anzuzeigen scheint. Dagegen ist die Arbeiterklasse ein solider Begriff, ein Abstraktum mit Tradition, mit dem sich treffende Beobachtungen verbinden lassen. Etwa wenn Michael Rutschky und Kathrin, „die als Schülerin und Studentin (Jungmensch) eine leidenschaftliche Leserin des Dichters B. war“, im Garten des Brechthauses in Berlin- Weißensee ein Gespräch über Bäume, genauer gesagt, blühende Kastanien führen. „Die BZ, die Morgenpost: die lieben es doch, die Arbeiterklasse mit solchen Preisausschreiben zu beschäftigen. ,Wer uns die schönste Kastanie der Hauptstadt vorstellt, dem mieten wir für ein Jahr den Decoder für das Digitalfernsehen.‘“

Den Gewinner eines solchen Preisausschreibens wird auch das unsägliche Plakat von „JalouCity“ nicht befremden, das Juergen Teller ins Zentrum eines Fotos gerückt hat, in dem von der Friedrichstraße aus die aufgerissene Hinterflanke des Tacheles zu sehen ist. Nur in Berlin dürfte die Schwarzweißmontage eines Kleinkinds auf dem Töpfchen in die Farbaufnahme einer typisch amerikanischen Downtown als werbewirksam gelten.

An diesem Foto läßt sich dann aber gut beobachten, wie Teller die Welt und ihre Details schon beim Fotografieren als überwiegend hochformatige Bildfläche antizipiert, die es präzise zu strukturieren und gliedern gilt. Juergen Teller ist sich der manifesten Bilder im Stadtbild wie Plakate, Piktogramme oder Verkehrszeichen ebensosehr bewußt wie der latenten Bilder, die einzelne Dinge oder deren Gruppierung evozieren, und er weiß was mit diesen Bildern anzufangen, semantisch wie formal. Das endet mal in Schönheit, wie am „Alexanderplatz“, wo ein Gullydeckel und ein Trupp locker gepflanzter gelber Tulpen ihren je eigenen Maschendrahtrahmen bekommen; das andere Mal eher sachlich, wenn nicht trist, wie bei der Hausfassade mit der rostzerfressenen Stahltür in der „Leipziger Straße 126, hinter dem Club Tresor“; und schließlich auch mal als Gag, wie beim „Hotel Adlon, Unter den Linden 77“, das Teller von seiner Rückseite aufgenommen hat. Als gewaltige, nur von einem Baukran überragte, fensterlose Brandmauer, wie sie von der Wilhelmstraße zu sehen ist. Daß sich hinten herum mehr Bautradition findet als vorne an der historisierenden Fassade, ist ein Aspekt für das Foto. Ein anderer ist das Gespür, wie sich Himmel und Haus das Bild je zur Hälfte teilen, mit der minimalen Abweichung, mit der das Dach am linken Bildrand um zwei Stufen abfällt.

Tellers Fotografien sind subtile, sensible Bilder. In ihrer ebenso einsinnigen wie eigensinnigen Konzentration auf die zerfledderte Stadt und deren eilige Neuinszenierung sind sie im Buch und alleine besser zu betrachten als in Gesellschaft anderer und in Massen an der Wand. Dennoch fehlt ihnen nicht die robuste Unkompliziertheit des einfachen, aber aufmerksamen Hinguckens, das der Mann mit der Kamera mit dem neugierigen großstädtischen Fußgänger teilt. Und so halten die Bilder auch die Verdoppelung aus, die die Präsentation bei Shift e.V., in dem Teil der Friedrichstraße, wo sie noch immer aufgerissen ist und die Häuser noch immer heruntergekommen sind, bedeutet. Denn außen sieht es wie drinnen auf den Bildern aus: nach Baustellen und Brechtstätten.

Michael Rutschky, Juergen Teller: „Der verborgene Brecht. Ein Berliner Stadtrundgang“. Herausgegeben von Inge Gellert und Klara Wallner, Scalo Verlag 1997, 128 S., 34,80DM

Juergen Teller: „berlin: der verborgene brecht“. Bis 30.11., Shift e.V., Berlin, Friedrichstraße 122/123

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