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"Gedenken ist kein Ablaßhandel"

■ Das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas als unwegsamer Autobahnkilometer. Kopfsteinpflaster ist auch sinnlich. Die Künstler Rudolf Herz und Reinhard Matz im Gespräch über Gedenkpraxis, die Autobahn als

taz: Als Mahnmal für die ermordeten Juden Europas wollen Sie einen Kilometer Autobahn bei Kassel mit Kopfstein pflastern. Nur so könne man aus dem „toten Gedenken lebendige Erinnerung machen“. Was stört Sie an der jetzigen Denkmalsdebatte?

Rudolf Herz: Unsere Überlegung geht von der Ablehnung repräsentativer Gesten aus. Wir meinen, daß diese repräsentativen Gesten zwangsläufig zu einer Leblosigkeit und Hohlheit verdammt sind. In der Schärfe dieses Problems haben wir versucht, einen Entwurf zu entwickeln, der auf zwei Teilen basiert: Das eine ist der Autobahnkilometer, und der andere Teil ist eine Stiftung, die uns genauso wichtig ist und die ihr Gründungskapital aus dem Verkauf des Berliner Grundstücks gewinnen soll. Die Stiftung soll das Bewußtsein der Situation von Verfolgten wachhalten, indem sie sich um Hilfe für heute verfolgte Minderheiten bemüht. Daher müßte der Zweck jedes Jahr neu diskutiert werden, das wäre eine permanente Verlebendigung. Zugleich hätten wir eine Möglichkeit, der monumentalen Erstarrung von Denkmälern zu entgehen.

Reinhard Matz: Das Denkmal in Berlin ist diese Stiftung, und das Mahnmal ist der Kilometer Autobahn mitten in Deutschland.

Formal unterscheidet sich die Idee erst einmal nicht von anderen Monumenten. Es gibt einen Ort, es gibt das Material, und es gibt die Metaphern der Autobahn von Hitlers Mobilmachung bis zur freien Fahrt für freie Bürger. Warum sollte Gedenken an den Holocaust in Alltag übergehen?

Matz: Wir haben den Begriff der Aufhebung dafür verwendet, weil wir wußten, daß an diesem Thema – der Darstellung des Holocaust – die traditionelle Kunst scheitern wird. Um aus dem Dilemma herauszukommen, muß die ästhetische Komponente in der sozialen aufgehoben werden. Das hat die Konsequenz, daß man nicht ein totes Denkmal irgendwo hinstellt, sondern sowohl die Stiftung als auch den Autobahnkilometer in soziale Abläufe einbindet. Es geht darum, einen Anstoß zu geben über das, was da passiert ist, nachzudenken, um einen Störmoment.

Und diese Störung soll das kathartische Moment ersetzen, das sonst von Mahnmalen ausgeht?

Matz: Keine Katharsis ohne Störung... Ich glaube nicht an diese schöne Freiwilligkeit, mit der ich mir in Berlin an repräsentativen Orten etwas anschauen kann. Sollte einer der Entwürfe dort gebaut werden, wird die interessierte Berliner Öffentlichkeit sicher lieber erst mal hingehen, um zu schauen, wie das Mahnmal aussieht. Hat sie es zur Kenntnis genommen, kommen vielleicht noch drei Jahre lang Touristenbusse, und dann ist die Idee kaputt.

Weil sich nur die ästhetische Form eingeprägt hat?

Herz: Wenn es gut geht, ja. Aber wir bewegen uns in einer Schnittmenge mit zwei Größen: einerseits das Diskussionsfeld, das mit Kunst beschrieben werden kann; und dann alles, was Nicht-Kunst ist, also Historie, Erinnerung, soziale Funktion. Man kann nun nicht auf das eine schielen und das andere sein lassen. Wir haben uns an zwei Maßstäben zu orientieren: an der Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts und dann an dem wahnwitzigen historischen Problem, der übermächtigen Erinnerung an den Holocaust. Um dem doppelten Scheitern von Kunst und Erinnerung am historischen Ort zu entgehen, haben wir diesen radikalen Ausbruch unternommen.

Aber in der gestalterischen Radikalität kippt die Sache um – dann ist die Autobahn ein vages Kontinuum von Hitler bis heute, obwohl das Verkehrsnetz längst europäisiert ist. Sie tun praktisch so, als hätte sich nichts geändert.

Herz: Wir haben uns gefragt: Was ist heute ein Gemeinschaft stiftendes, nationales Symbol in Deutschland? Wir stellen es in Frage mit unserem Projekt kollektiver Erinnerung. Unser Vorschlag ist ein Test auf die Bereitschaft der deutschen Gesellschaft, welchen Preis sie bereit ist, für eine lebendige Erinnerung an den Holocaust zu zahlen und wie sie sich darüber verständigt. Und da ist es interessant, welche Argumente und Einwände auf den Tisch kommen. Daran zeigt sich das ganze Problem: Ist der Holocaust das Unerträgliche oder unsere Form der Erinnerung? Unser Entwurf ist eine Kritik der Vorgaben, aber eben nicht bloß Kritik, sondern auch eine gedankliche, künstlerische und politische Weiterführung.

Matz: Wenn ein Afrikaner sich an dem Tag in Israel aufhält, wo für zwei Minuten alle Räder zum Gedenken stillstehen, dann ist er davon auch betroffen. Er wird gezwungen, stillzustehen. Ein ähnliches Verfahren ist mit unserem Entwurf beabsichtigt. Außerdem ist das Mahnmal den ermordeten Juden Europas gewidmet, und ich denke, es ist auch ein Problem der europäischen Geschichte, wie man Juden tausend Jahre lang behandelt hat. Insofern kann man die Autobahn als Bindeglied durchaus globaler ansetzen.

Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, wie gefährlich so ein drastischer Geschwindigkeitswechsel werden kann?

Herz: Das Unfallrisiko nimmt ab, wenn die Leute langsamer fahren müssen.

Matz: Wir haben nicht vor, irgendein Risiko zu erhöhen. Da sehe ich die Unfallträchtigkeit nicht anders als bei einer Baustelle.

Sie sagten, es gehe um ein Ärgernis. In der konkreten Situation fahren die Autos langsamer, der Verkehr stockt, das Ganze wirkt wie eine Prozession. Läuft die Störung am Ende auf Buße hinaus?

Herz: Begriffe wie Buße spielen bei unserem Entwurf keine Rolle. Wir wollen ja auch niemanden damit bestrafen. Es ist einfach eine Verlangsamung, die mit einer memorativen Funktion ausgestattet wird. Umgekehrt würde man sich mit der Bußfertigkeit doch eher einer Idee anschließen, daß Freiheit erst bei 180 km/h beginnt.

Matz: Tatsächlich bleibt unser Vorschlag, sollte er realisiert werden, ein Ärgernis. Und da ist es ein großer Unterschied, ob ich freiwillig über Kies zum Gedenken wie in eine Kirche gehe, oder ob ich auf der Autobahn meine Fahrt verlangsamen muß. Das gilt für die Praxis mit Denkmälern überhaupt: Die Einbindung in dieses kantische, interesselose Wohlgefallen ohne jede soziale Praxis funktioniert hier nicht.

Bei Ihrem Entwurf wird man sich womöglich nur noch an die kaputte Autobahn erinnern und nicht mehr an die ermordeten Juden. Dann wäre im Gegenteil das Vergessen erreicht.

Matz: Ich glaube nicht mehr an diese pathetische Formel, daß die Verbrechen vergessen werden könnten. Seit Jahren wird in der deutschen Diskussion so massiv geredet, daß es nun wichtiger wäre, sich mit der Form der Erinnerung auseinanderzusetzen. Ansonsten gibt es die Topographie des Terrors und das Jüdische Museum.

Dann soll man das Erinnern nicht überbewerten?

Herz: Vor allem soll man es endlich in die Gegenwart und in eine Zukunft verlängern. Dafür haben wir die Stiftung vorgeschlagen, damit das Gedenken nicht in eine historische Ecke abgeschoben wird. Aber offenbar hat sich eine Idee von Monumentalität und Vergangenheitsbewältigung durchgesetzt, die zumindest auf den drei Kolloquien extrem kritisiert wurde.

Die Stiftung richtet sich gegen Unrecht in der Gegenwart. Aber relativieren Sie damit nicht auch die Schuld?

Matz: Ich glaube nicht an einen Ablaßhandel. Man kann durch eine heutige Tat historische Verbrechen nicht relativieren, so funktioniert das nicht. Das gilt auch für die Vorstellung von jedem anderen Mahnmal: Wenn man die historische Tat darstellen wollte, liefe es immer auf eine Verniedlichung hinaus. Man kann die Ermordung von sechs Millionen Menschen nicht darstellen. Der Zusammenhang von Inhalt und Form kann kein mimetischer sein, sondern er ist nur durch Benennung herzustellen. Eine Sache wird dabei erklärt. Deshalb heißt unser Vorschlag: „Überschrieben“.

Herz: Wenn man das Gedenken ernst meint, muß daraus eine veränderte Praxis für die Gegenwart entstehen. Und da scheint mir eine Stiftung für alle auch weiterhin von Verfolgung und Ermordung bedrohten Gruppen nachgerade folgerichtig. Nur geht diese Auseinandersetzung eben von einem gedanklichen Zusammenhang aus.

Matz: Nicht nur gedanklich, Kopfsteinpflaster ist auch sehr sinnlich. Interview: Harald Fricke

Bisher erschienen zu den Mahnmalentwürfen Interviews mit Jochen Gerz (22.11.) und Gesine Weinmiller (8.12.). Die Entwürfe werden noch bis 27.1. 1998 im Marstall Berlin ausgestellt.

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