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Die Vorzeigefrau aus Marzahn

Gesichter der Großstadt: Die 47jährige Bulgarin Elena Marburg ist die tüchtigste Ausländerbeauftragte Ostberlins. Die Ingenieurin mußte als Migrantin selbst beruflich umsatteln  ■ Von Marina Mai

Elena Marburg ist hartnäckig. Keine Gelegenheit hat die Ausländerbeauftragte von Marzahn ausgelassen, um Haushaltsgelder für die MigrantInnenprojekte im Ostteil der Stadt anzumahnen. Daß es im nächsten Jahr trotz Haushaltsmisere für die bislang über den zweiten Arbeitsmarkt finanzierten Projekte 500.000 Mark zusätzlich gibt, ist auch ihr Verdienst. Ob bei Anhörungen im Abgeordnetenhaus, bei Pressekonferenzen oder im SPD-Arbeitskreis für Migration, immer wieder hatten sie und ihre KollegInnen beschrieben, daß eine qualifizierte Arbeit mit jährlich wechselndem Personal nicht zu leisten sei.

Als der zuständige Abgeordnetenhaus-Ausschuß vor zwei Jahren eine Anhörung zur Situation von VietnamesInnen ohne Aufenthaltsrecht durchführte, lud die SPD Elena Marburg ein. Die 47jährige übergoß die Abgeordneten mit einem Redeschwall. Sie erzählte von vietnamesischen Kindern, die leistungsstarke SchülerInnen sind, von Freundschaften zwischen vietnamesischen und deutschen Kindern und von Familien, die mit der bevorstehenden Rückkehr nach Vietnam aus ihren Lebenszusammenhängen in Marzahn herausgerissen werden.

Die Botschaft, die die Marzahner Ausländerbeauftragte in viele kleine Beispiele verpackte, lautete: In der Ostberliner Bevölkerung seien die VietnamesInnen trotz des Zigarettenhandels und trotz der Kriminalität einiger ihrer Landsleute akzeptiert. Aber es fehle ihnen an einer Lobby bei vielen PolitikerInnen aus dem Westteil der Stadt.

Elena Marburg lebt seit 23 Jahren in Berlin. Als sie 1973 als Studentin der Chemietechnologie an der Universität Sofia zu einem Studienaufenthalt nach Berlin kam, habe die Liebe sie „blitzartig getroffen“. Ein Jahr später heiratete sie einen Berliner Lehrer.

Daß sie in der DDR blieb, war für die frischgebackene Ingenieurin zunächst mit einem sozialen Abstieg verbunden. Die Tochter eines weltweit anerkannten Gelehrten zog in eine Hinterhofwohnung mit einem Außenklo, das ein Stockwerk tiefer lag. Eine wissenschaftliche Laufbahn war ihr wegen fehlender Deutschkenntnisse verwehrt. Doch nach zwei Jahren Jobben hatte sie sich hochgearbeitet: Die Hauptverwaltung Film des DDR-Kulturministerums stellte sie in einem Patentbüro ein. Sie lernte Deutsch, bekam zwei Söhne. Danach absolvierte sie ein Fernstudium im Patentrecht.

Im Oktober 1990 wurde sie Ausländerbeauftragte, oder wie sie es lieber hört: „Migrantenbeauftragte“ von Marzahn. Kenntnisse in fünf Sprachen, Erfahrungen als Migrantin und eine juristische Ausbildung hatte die Bulgarin in die Waagschale zu werfen. Ihre Mitgliedschaft in der SDP vergißt sie fast zu erwähnen. Da wäre sie mehr aus Familientradition heraus eingetreten. Ihr Großvater war bei den bulgarischen Sozialisten, die den Menschewiki nahestanden, führend tätig.

Zu ihren ersten Aufgaben erkor Elena Marburg die Integration der sowjetischen Juden in den Bezirk. Damals wollte sie sich noch um jeden der tragischen Einzelfälle persönlich kümmern. Elena Marburg lernte schnell, aus der Kenntnis der Einzelfälle die strukturellen Probleme zu analysieren und eine Vereinsstruktur aufzubauen, die von den Betroffenen wie von den Marzahner Bürgern akzeptiert ist. „Meine Aufgabe als Ausländerbeauftragte ist es, die Fäden in der Hand zu behalten.“ Manch ein Verein hat sich schon über allzuviel Gängelei beklagt. Doch eine qualifizierte Arbeit, sicherer Umgang mit dem Ausländerrecht und viel Einfühlungsvermögen für die Lebenslagen der Migranten in Marzahn hat ihr noch niemand abgesprochen. Besonders ans Herz gewachsen sind der Bulgarin die Vietnamesen. „Da ist im Vereinigungsprozeß vieles schiefgelaufen.“ Sie unterstützte Musterprozesse um ein Bleiberecht und hilft Gewerbetreibenden bei Problemen mit Behörden.

Daß sie als Migrantenbeauftragte auch für die Integration von Aussiedlern zuständig ist, stand für die Bulgarin, die perfekt Russisch spricht, nie in Frage. Nach dem Wegzug einkommenstarker Marzahner Familien ins Umland sind in den letzten Jahren 8.000 bis 10.000 GUS-Aussiedler im Bezirk ansässig geworden. „Die genaue Zahl kennt keiner, denn in der Statistik tauchen sie als Deutsche auf.“ In Kasachstan sei Marzahn inzwischen eine Wunschadresse. In einem einzigen Marzahner Hochhaus wohnten 64 Mitglieder einer Großfamilie. Und dann erzählt Elene Marburg von der Marzahnerin, die sich bei ihr über die neue Nachbarin beschwert hatte: Die alte Frau, die aus Kasachstan gekommen war, hätte vor der Tür ihrer Marzahner Neubauwohnung Kartoffeln geschält. Die Ausländerbeauftragte will nun bei den alteingesessenen Marzahnern um Akzeptanz für die neuen Nachbarn werben.

Die pragmatische SPD-Linke Elena Marburg kommt mit allen Parteien gut aus: Die PDS, die in Marzahn den Bürgermeister stellt, schätzt ihre Verläßlichkeit. Die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) schätzt ihre Sachkenntnis bei Ost-Themen und lobt Elena Marburg als Vorzeigeausländerbeauftragte aus dem Osten. Mit den Bündnisgrünen teilt Marburg die „Vision einer tatsächlichen Gleichbehandlung“. Für überdenkenswert hält sie jedoch deren Forderung, „daß jeder, der nach Deutschland gekommen ist, auch bleiben darf“.

Auf Elena Marburgs Schreibtisch liegt ein Foto des Sofioter Straßenköters, den sie vor acht Jahren adoptiert hat. Er war „so ein wuschliger, der kleinste aus seinem Wurf, der von den Kindern achtlos fortgejagt wurde. Da hat mein soziales Herz geschlagen“. Wenn sie abends viel zu spät nach Hause kommt, ist der Hund „der einzige aus der Familie, der vor Freude mit dem Schwanz wedelt“.

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