: Wie Wellen im Meer
■ Man soll sich fragen: "Wo und warum bin ich hier?" Richard Serra und Peter Eisenmann über ihre Teilnahme beim Wettbewerb zum Mahnmal für die ermordeten Juden Europas
taz: Herr Eisenmann, Herr Serra, Sie sind das einzige Team in der Endrunde des Wettbewerbs zum Holocaust-Mahnmal. Wie ist es zu der Zusammenarbeit zwischen Ihnen beiden gekommen?
Peter Eisenmann: Richard war schon bei dem ersten Wettbewerb dabei, was ich damals allerdings nicht wußte. Dann bekam ich die Einladung zum zweiten Wettbewerb, auf der stand, daß der Senat empfiehlt, Künstler sollten sich mit Architekten zusammentun. Ich dachte, daß müßte doch auch umgekehrt möglich sein. Da ich Richard als Bildhauer sehr schätze, habe ich ihn angerufen...
Richard Serra: Pausenlos hat er angerufen, wollte dies wissen und jenes wissen, ob ich das Gelände kenne und so weiter... (lacht). Und dann erzählte ich ihm, daß ich bereits am ersten Wettbewerb teilgenommen habe, aber nicht über die erste Runde hinausgekommen bin. Ich hatte ein sieben Meter tief in den Boden eingeschnittenes Oval entworfen. Ich glaube, das verstieß gegen die Ausschreibungskriterien.
Wie lange haben Sie an Ihrem Entwurf gearbeitet?
Eisenmann: Zweieinhalb, drei Monate. (Zu Serra) Du warst noch in Cape Braton und bist erst im September zurückgekommen. Ja, ich glaube, wir haben in der ersten Septemberwoche angefangen.
Serra: Das Projekt hat uns monatelang auf Trab gehalten. Wir haben uns für eine Zeit zusammengesetzt und intensiv gearbeitet, anschließend haben wir es eine Weile ruhen lassen, um das Ganze zu verdauen. Und dann haben wir uns wieder getroffen und weitergearbeitet.
Hat es zwischen Ihnen eine Aufgabenteilung gegeben?
Eisenmann: Nein. Es war bald klar, daß Richard keine Skulptur machen wollte und ich kein Stück Architektur. Wir haben jeden einzelnen Punkt gemeinsam diskutiert, und zwar so lange, bis wir uns einig waren.
Herr Serra, was hat Sie nach Ihrem Scheitern im ersten Wettbewerb dazu gebracht, es noch einmal zu versuchen?
Serra: Ich hatte mit dem Thema von Anfang an konzeptuelle Schwierigkeiten. Sie müssen wissen, ich bin nicht von Haus aus einer, der Mahnmale baut, ich bin Bildhauer. Denkmale sind immer eklektizistisch. Bei meinem ersten Entwurf wollte ich ein Anti-Monument schaffen. Ich glaube, Mumford war es, der sagte, wenn es ein Denkmal ist, dann kann es nicht modern sein, und wenn es modern ist, dann kann es kein Denkmal sein. Als ich dann später mit Peter sprach, merkte ich, daß er sich in den Kopf gesetzt hatte, mit einer Vielzahl von Elementen zu arbeiten, um das schiere Ausmaß des Verbrechens deutlich zu machen. Ich dachte, das könnte funktionieren, falls es uns gelingt, Peters Idee so zu strukturieren, daß daraus nichts Monumentales entsteht.
Sie wollen viertausend bis zu fünf Meter hohe Betonpfeiler auf dem Gelände verteilen. Das nennen Sie nicht monumental?
Serra: Entscheidend ist, daß sich die Pfeiler wegen des unterschiedlichen Bodenniveaus alle nur höchstens einen Meter über die Straße erheben. Wenn sie um das Mahnmal herumgehen, können sie das gesamte Gelände überblicken, es ist niedriger als die Augenhöhe eines erwachsenen Menschen.
Wo lag für Sie der Unterschied zwischen der Arbeit an einer Ihrer großen Skulpturen und dem Entwurf für das Holocaust-Mahnmal?
Serra: Was ich beim Mahnmal- Entwurf gemacht habe, unterscheidet sich von meiner sonstigen Arbeit fundamental. Kunst ist meiner Meinung nach im besten Fall frei von Ideologie, von Funktion, die meisten meiner Skulpturen sind statisch angelegt, und sie sind zeitlos. Unser Mahnmal dagegen hat gerade die Zeit zum Thema, ihre Zeit...
Sie meinen, die Zeit, die vergeht, während ich mich auf dem Gelände bewege?
Serra: Genau, Ihre Zeit und Ihre individuelle Bewegung. Wir wollten einen Ort kreieren, der die Empfindung von Raum und Zeit verändert, die Empfindung des eigenen Körpers gegenüber der Umgebung. Dabei schreibt Ihnen dieses Feld der Erinnerung, wie ich es jetzt einmal taufen möchte, nicht vor, was Sie zu fühlen haben, was Sie denken oder tun sollen. In dieser Hinsicht dient es sich auch keiner bestimmten Anschauung an, es ist frei und offen. Es gibt dort keine Hierarchie, keinen Eingang, es gibt keinen Aussichtspunkt...
Eisenmann: Es gibt kein Ziel, Sie gehen dort auf nichts zu, es existiert kein Zentrum, das wichtiger ist als der Rest.
Die Wege zwischen den Pfeilern sind mit einem knappen Meter gerade so breit, daß man als einzelner Mensch durchgehen kann. Eine eher beengende Vorstellung. Sollen die Besucher ihres Mahnmals leiden?
Serra: Es wird sicher manchen Überwindung kosten, dort hineinzugehen. Aber es ist auch so, daß man von den Gängen aus jederzeit bis zur Straße sehen kann. Das ist erst mal eine sehr offene Situation. Ich gebe zu, wenn sie zwischen fünf Meter hohen Pfeilern stehen, dann mag das ein irritierendes Erlebnis sein. Aber ich hoffe, daß das dazu führen wird, daß die Menschen sich bewußt werden über den Ort, an dem sie sich gerade befinden. Daß sie sich fragen, wo und warum bin ich hier? Und letztlich bleibt es jedem einzelnen überlassen, wie weit er sich in das Gelände vorwagt.
Eisenmann: Die Leute werden merken, daß das hier eine andere räumliche Erfahrung bietet als bei allen anderen Orten, die sie kennen. Was wir machen wollten, war, den Menschen vielleicht für einen Moment das Gefühl zu geben, wie es sein mag, wenn man auf verlorenem Posten steht, wenn einem der Boden unter den Füßen schwankt, man von seiner Umgebung isoliert wird. Uns ging es nicht um Schuldzuweisungen oder ähnliches, wir wollen, daß sich die Besucher an die elementare persönliche Erfahrung erinnern, die sie hatten, als sie hier waren.
Man hat Ihrem Entwurf mit dem alten jüdischen Friedhof in Prag verglichen. Wie beabsichtigt ist eine solche Assoziation?
Serra: An die Metapher eines Friedhofs habe ich zuerst überhaupt nicht gedacht. Was bei unserem Entwurf vielleicht vergleichbar ist mit einem Friedhof, ist die Isolation, die die Besucher dort spüren werden.
Eisenmann: Mich für meinen Teil erinnert unser Entwurf am ehesten an die Säulen der Moschee in Cordoba. Sie müssen kein Muslim sein, um ein Gefühl für diesen Ort zu bekommen. Und von außen betrachtet, sieht unser Mahnmal aus wie ein vom Wind bewegtes Kornfeld...
Serra: ...oder wie Wellen im Meer...
Eisenmann: Wenn Sie sich die Pfeiler in ihrer originalen Größe vorstellen, dann sehen Sie darin keinen Friedhof mehr.
Wie spezifisch jüdisch ist Ihr Entwurf denn dann?
Eisenmann: Das haben uns schon viele gefragt: Wo ist der jüdische Symbolismus? Nun, das jüdische Symbol ist: Juden haben keine Symbole, keine Bilder. Das ist für mich sehr wichtig. Die Abwesenheit von Symbolen ist so jüdisch, wie es nur sein kann.
Serra: Ich denke, unser Entwurf ist offen. Ich weiß, daß die Ausschreibung anders lautet, aber ich persönlich denke, daß das Mahnmal für alle ist.
Eisenmann: Es soll eine physische Erfahrung ermöglichen, die man nicht auf Anhieb benennen kann.
Serra: Kennen Sie die Friedhöfe der Quäker in Amerika? Die sind sehr interessant. Sie bestehen nur aus einem eingezäunten, flachen Feld. Darauf gibt es keine Einzelgräber, keine Namen, da ist kein individueller Platz, sondern nur das Feld als solches.
Kritiker haben an Ihrem Entwurf bemängelt, daß sich so das Gelände schwer kontrollieren läßt, keinen Schutz vor Vandalismus bietet...
Serra: Sie können keinen Platz der Welt wirklich kontrollieren, und wenn, ist noch die Frage, ob das wünschenswert wäre. Ich glaube, daß das Vandalismus- Problem vorgeschoben ist. Diejenigen, die das sagen, sind aus anderen Gründen gegen das Mahnmal.
Eisenmann: Die Leute, die verstehen, worum es geht, werden dort nicht so leicht Graffitis hinsprühen.
Serra: Abgesehen davon wird die Art, wie man mit dem Mahnmal umgeht, auch Teil des Mahnmals werden. Wenn ich mich in meiner bisherigen Arbeit davon hätte beeindrucken lassen, daß die Möglichkeit besteht, Graffitis irgendwohin zu sprühen, dann hätte ich keine einzige meiner Skulpturen aufstellen können.
Wie wollen Sie das Gelände nachts beleuchten?
Eisenmann: Auf keinen Fall mit grellem Flutlicht.
Serra: Daran müssen wir noch arbeiten. Es gibt ein Beleuchtungssystem, das über Spiegelreflektoren funktioniert. Ich glaube, sie haben es kürzlich am Frankfurter Flughafen installiert.
Nachdem die Findungskommission Ihren Entwurf und den von Gesine Weinmiller ausgewählt hat, sind im nachhinein noch zwei weitere dazugekommen. Letzte Frage: Was halten Sie vom Procedere des Wettbewerbs?
Eisenmann: Die Frage müßten eigentlich Sie beantworten.
Serra: Wir haben gehört, daß die Berliner Verhältnisse nicht so einfach zu durchschauen sind. Aber darüber wissen wir gar nichts...
Eisenmann: Und wir wollen darüber auch nichts erfahren.
Serra: Als wir mitgekriegt haben, daß es einen zweiten Wettbewerb geben sollte, wußten wir nicht, was das bedeutet. Aber es hat unser Zutrauen nicht unbedingt gesteigert.
Interview: Ulrich Clewing
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