: Aus hundert Schlachten kommen und es nicht merken
■ Wie ein 3sat-Filmessay zu Brechts „Kriegsfibel“ deren Charakter übersieht (Sa., 19.20 Uhr)
„Assoziationen zu einem Buch“ sollen es sein. So nennen Vera Böhm und Sohn Markus ihren Film über Brechts „Kriegsfibel“, der die 3sat-Brecht-Reihe beendet. Und auch diesen Film scheint zu beschäftigen, was fast alle Beiträge im Brecht-Jahr beschäftigt: die Frage nach der Aktualität des Brechtschen Werks.
Doch das Autorenpaar ist zunächst der Entwicklungsgeschichte der „Fibel“ nachgegangen: Schon vor Kriegsbeginn hatte Brecht im dänischen Exil angefangen, Zeitungsfotos zu sammeln. Ab März 1940 entstehen zu einigen Fotos Epigramme, Vierzeiler, die die Bilder im Brechtschen Licht ausleuchten sollen. Ende 1944 stellt der Dichter 70 solcher „Fotogramme“, wie Brecht die lyrisch kommentierten Fotos nennt, zu der „Kriegsfibel“ zusammen.
In Gesprächen mit dem Brecht- Schüler Peter Palitzsch, mit Günter Kunert, der vor über vier Jahrzehnten an der Endredaktion der „Kriegsfibel“ beteiligt war, und mit Jüngeren wie dem Fotografen Roger Melis, dem Schauspieler René Döring und dem Musiker Flake (Rammstein) werden die unterschiedlichen Perspektiven auf die Brechtsche Form der Antikriegspropaganda vorgestellt.
Leider kommt beim Zuschauer die Frage nach der Aktualität der „Kriegsfibel“ gar nicht erst auf, wenn auch die Interview-Antworten hierzu durchaus differenziert ausfallen. Der Film setzt diese Aktualität schlicht voraus: Die Bilder der „Kriegsfibel“ werden in schnellem Tempo gegen Bilder aus dem Balkankrieg geschnitten, kurze Sequenzen zeigen Bundeswehrsoldaten und eine DDR- Grenzstreife. Ergo: Damals wie heute, Ost wie West, immer und überall dasselbe Schweinesystem.
Nirgendwo im Film taucht ernsthaft die Frage auf, ob die „Kriegsfibel“ nicht auch selbst ein Produkt des Kalten Krieges ist. Ein Buch für die Sieger, vor allem für die Soldaten der Roten Armee, hat Günter Kunert die Fibel genannt. Und tatsächlich kommen die US- Befreier Italiens nicht gut weg, sind sie doch nur Instrument des Monopolkapitalismus – ebenso wie die deutschen Soldaten oder die befreiten französischen Zwangsarbeiter. Ihnen gibt Brecht den Rat, sich nicht allzusehr über ihre Befreiung zu freuen, weil ihre eigentliche Befreiung noch ausstünde. Nur ein paar Seiten davor vier Bilder mit Kindern, die unter dem Krieg litten, mit dem Epigramm: „Ihr in den Tanks und Bombern, große Krieger!/ Die ihr in Algier schwitzt, in Lappland friert/ Aus hundert Schlachten kommen als die Sieger:/ Wir sind's, die ihr besiegt habt. Triumphiert!“
Das ganze Buch durchzieht der Wechsel von ideologischer Anmaßung und poetischer Tiefe. Im Film ist davon nichts zu sehen. Ionescu sagte über Brecht, er sei „nicht schlicht und einfach, sondern ein Vereinfacher“ – und hat sich damit selbst zum Vereinfacher gemacht. Ebenso, nur mit umgekehrten Vorzeichen, ist es den Filmemachern gegangen. Peter Walther
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