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■ Mit ihrer Benzinpreis-Debatte haben sich die Grünen ins Abseits manövriert. Denn gewählt wird nur, wer sagt, wie es besser wirdDie Verzichtsfalle

Wie setzt man eine Öffentlichkeitskampagne für Umweltpolitik wirkungsvoll in den Sand? Man beginne die Debatte mit Verzichtsappellen, achte darauf, daß dem Bürger lediglich mitgeteilt wird, worauf er zu verzichten habe. Zum Beispiel auf sein Auto oder auf Fernreisen. Keinesfalls dürfen Sinn und Zweck oder gar der Gewinn an Lebensqualität als Folge der vorgeschlagenen Einschränkungen dargestellt werden. Der unvermeidliche landesweite Aufschrei stellt sicher, daß genügend Raum für Rechtfertigungen, Richtigstellungen und die übliche Medienschelte bleibt. Die Kampagne schließe man mit hilflosen Versuchen, die Diskussion versachlichen zu wollen – beispielsweise mit dem larmoyanten Verweis, man sei gar nicht richtig verstanden worden.

Die Benzinpreis-Debatte hat sich längst zu einer Gefahr für den grünen Bundestagswahlkampf entwickelt. Denn der müßte thematisieren, was den Bürger am meisten drückt: soziale Einsparungen und Kürzungen, Rentendebakel, Massenarbeitslosigkeit und ständige Appelle seitens der Koalitionspolitiker, den Gürtel enger zu schnallen. In diesem Klima nun eine weitere Verzichtsdebatte vom Zaun zu brechen, grenzt an politischen Selbstmord. Denn gerade das Auto steht und fährt als Symbol sozialen Wohlstands, als letzte Bastion des längst verlorenen Rennens um soziale Zugehörigkeit.

Statt um Verzicht könnte es um grüne Politik gehen, um die sozial- ökologische Wende. Die Zeiten dafür sind so günstig wie nie. Die Probleme der postindustriellen Gesellschaft werden im grünen Wahlkampfprogramm differenzierter als von den Sozialdemokraten angesprochen. Wie soll die soziale Absicherung der Alten aufrechterhalten werden? Wie soll jenseits illusionärer Vollbeschäftigung Massenarbeitslosigkeit begegnet werden? Wie die industrielle Erneuerung durch energiepolitische Anreize und eine ökologische Steuerreform angegangen werden? Wie die Umwelt geschützt und die Lebensqualität in den urbanen Wohnvierteln gesichert werden? Alles wichtige Vorhaben, die allerdings einer Vermittlung bedürfen.

Grüner Wahlkampf müßte mit Hoffnungen, Utopien und Konzepten starten, die verstanden werden. Die Menschen wollen wissen, ob sich ihr Lebensalltag bei einer rot-grünen Koalition verbessern wird, oder ob sie lediglich mit weiteren Verschlechterungen rechnen müssen. Nur wenn man sich die sozialökologische Wende vorstellen kann, wird sie akzeptiert.

Beginnt man zum Beispiel die Debatte um neue Verkehrspolitik mit Forderungen nach Einschränkungen des motorisierten Individualverkehrs (sprich: des Autos), so wird eine solche Kampagne nach dem Taube-Spatz-Paradigma funktionieren. Jeder wird sich überlegen, wie es unter den gegebenen Bedingungen des öffentlichen Verkehrs wäre, wenn weniger Auto zur Verfügung stünde. Die Mutter mit zwei Kindern denkt darüber nach, wie sie des Morgens ihre Kinder zu Kindergarten und Schule, mittags wieder zurück und nachmittags zu Kindergeburtstag, Musikschule und Sport zu befördern hätte – ohne Auto und mit den gegenwärtigen Busverbindungen. Pendler stellen sich vor, wie sie frühmorgens zur Arbeit und am Nachmittag zurückgelangen. Die Jugendlichen, wie sie nächtens von der Disko heim kommen. Vorgestellt wird der Verzicht, der immer konkret ist. Der mögliche Gewinn aber ist vage, weil bisher nicht existent und daher kaum vorstellbar. Da wird dann lieber ein Kohl in der Hand gewählt und nicht ein Fischer auf dem Dach.

Das alles ist lange bekannt. Das Umweltbundesamt ermittelte, daß 90 Prozent der Bundesbürger gegen eine Ökosteuer sind, gleichzeitig aber keine Vorstellung davon haben, was sie eigentlich bedeutet. Abgelehnt wird eben, was angst macht, weil man sich nicht dargelegte Verbesserungen nicht vorstellen kann – reale Verzichtsleistungen aber sehr konkret vor Augen hat. Was man hat, weiß man hingegen sehr genau.

Offensichtlich weckt der PR- Grundsatz, erst zu vermitteln, wofür man einsteht, bevor man über notwendige persönliche oder gesellschaftliche Kosten spricht, bei grünen Politikern alte Identitätsängste. Gleichen wir damit nicht zu sehr etablierter Politik? Verlieren wir nicht unsere linke Identität? Darf man eigentlich Wahlversprechungen machen? Gar für einen neuen Lifestyle einstehen?

Wie ist es um eine Identität bestellt, die bereits bei der Propagierung ihrer konkreten Utopien um sich selbst fürchten muß? Die Identitätsängste verhindern in der Folge die Konzentration auf das Naheliegende, nämlich daß sozialökologische Konzepte verständlich sein müssen, Hoffnungen wecken und Identifikationsangebote machen sollten. Dazu gehören Personen. Vertrauen in grüne Politik kann nicht nur an abstrakten Parteitagsbeschlüssen festgemacht werden. Vertrauen braucht Personen, die Inhalte verkörpern.

Die Befürchtung, zu sehr in einen amerikanisierten Personenwahlkampf abzugleiten, ist Ausdruck eines grundsätzlichen Problems des Selbstverständnisses. Letztlich geht es darum, ob Bündnis 90/Die Grünen Macht wollen. Doch das Verhältnis zur Macht ist gestört, wie sich im unvermittelbaren und an den Idealen der Friedensbewegung orientierten Bosnienbeschluß von Magdeburg zeigte. Wer die Macht will, muß sagen, wozu er oder sie sie nutzen will. Die Benzinpreis-Debatte wirkt wie ein Politikkondom zur Verhütung der Übernahme politischer Verantwortung.

Aufbruchstimmung entsteht demgegenüber, wo Menschen die Hoffnung fassen, es ginge um Ziele, auf die sie schon lange gewartet haben. Seit dem Wahlsieg von Willy Brandt gab es nicht mehr ein so umfassendes Bedürfnis nach politischen Reformen und Hoffnungen. Längst schon können die Volksparteien solche Hoffnungen nicht mehr verkörpern. Die Grünen stehen deshalb vor der Chance, endlich ihre Inhalte vermitteln und umsetzen zu können – falls sie das wirklich wollen.

Die Mehrheit der Wähler will den Wechsel. Doch Aufbruchstimmung weckt Reisefieber. Deshalb müssen Ängste um liebgewonnene Güter und Gewohnheiten ernst genommen werden. Eine Reise tritt nur an, dessen Fernweh gegenüber der Angst vor Veränderung überwiegt. Den Aufbruch möglichst vielen zu ermöglichen, ist Aufgabe nicht nur grünen Wahlkampfs, sondern der Umweltbewegung schlechthin. Die Grünen setzen deshalb mit der Heiermann-Kampagne nicht nur ihr Image, sondern die Akzeptanz ökologischer Innovationen schlechthin aufs Spiel. Micha Hilgers

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