■ Bundestag: Die Euro-Debatte zeigt die Ideenlosigkeit der Politik: Die große Koalition der Ratlosen
Der Euro bringt es an den Tag. Nun, da er über die Hürden gebracht ist, möchten die beiden Großparteien von ihm noch ein wenig für den Wahlkampf profitieren. Doch da wird nichts draus. Denn jede Rede, jedes Interview bringt heraus, daß diese antiquierten Parteimaschinen den Problemen Europas, die der Euro nur akzentuiert, nicht gewachsen sind. Sie klammern sich an den Euro, weil ihnen zu Europa nichts einfällt.
Das fällt beim Ehrgeizling Schröder krasser auf als beim Kanzler. Dem klebt das Etikett des Europa-Machers so gut auf, daß man ihm seinen Mangel an europäischer Sprachfähigkeit nicht übel nimmt. Und man versteht, daß er jetzt, da er sonst kaum noch über Sympathiekarten verfügt, als Mitzeuger des Euro wenigstens etwas Respekt absahnen möchte. Doch Kohl hatte keine eigene Idee, sondern das Glück, daß Frankreich noch mehr als Deutschland auf die Gemeinschaft angewiesen ist – und immer die politische Federführung behielt. Zudem funktionierte die Brüsseler Integrationsmaschine längst aus eigener Kraft, als Kohl Kanzler wurde. Er brauchte keinen eigenen Impuls, sondern durfte der – freilich energische – Unterstützer des andernorts Formulierten bleiben.
Weil Kohl über den Euro hinaus nichts Substantielles zu Europa einfällt, konnte er gestern auch nicht den SPD-Kandidaten so vorführen, wie der es verdient hat. Sich am Europa-Wankelmut Schröders festzuhalten – das war zuwenig. Der Kanzler vergab sich da zuviel. Das überläßt man den Leutnants. So wurde nur noch einmal demonstriert, daß Kohl zur großen Europa-Wahlrede unfähig ist und dazu ein schlechter Organisator. Er kann nicht einmal tüchtige Redenschreiber finden.
Dabei ist Schröder wahrlich leicht zu treffen. Was er als notwendige Warnung vor den Konsequenzen der Währungsunion drapiert, ist kaum mehr als Wählerkitzelei. Er selber hat den Euro ja auch erst entdeckt, als sich an ihm die hilflosen Ressentiments der Sparbuchbesitzer und Häuslebauer entzündeten. So opportunistisch Schröders Euro-Bedenken auch sind, er sagte während der beiden letzten Wochen doch ein klein wenig zuviel: Es müßten, um die Risiken aus dem Euro zu begrenzen, „vergleichbare Standards“ in der Steuer-, der Sozial und der Umweltpolitik geschaffen werden. Gut gebrüllt, aber das pfeifen die Spatzen von allen Europa-Dächern nicht erst seit gestern.
Nebelhaft, was der Kandidat mit vergleichbaren „Standards“ meint. Wenn die Forderung einen Sinn haben soll, dann kann es sich nur um eine europäische Sozialpolitik, Steuerpolitik und so weiter handeln. Dafür braucht es neue Institutionen, die den Staaten ein Stück Souveränität wegnehmen. Ein gemeinsamer Umbau der Sozialversicherungen aber verlangte beträchtliche politische Umwälzungen.
In der Tat müßten die europäischen Nationen, um mit den Konsequenzen der neuen Euro-Souveränität zurechtzukommen, sich um eigene Souveränitäten erleichtern lassen – die ihnen längst zur Last geworden sind. Siehe die gemeinsame Sozial- und Arbeitspolitik, von der alle wissen, daß sie in der Euro-Union nur noch gemeinsam betrieben werden kann, soll es eine Erfolgschance geben. Um den Staaten solche unerträglich gewordenen politischen Lasten durch ein politisches Europa abnehmen zu lassen, sind jedoch ihre politischen Klassen zu schwach und zu fett.
Das gilt zumal für die SPD. Sie hatte fast anderthalb Jahrzehnte Zeit, eine eigene Europa-Politik zu entwickeln. Denn schon mit der Einheitlichen Akte von 1985/86 war der Euro angepeilt worden. Aber die SPD hat nichts getan, um zu einer eigenen Position zu kommen und sie eines Tages in einer Regierung zu vertreten. Sie ist, wie die anderen Parteien auch, den bürokratischen Europa-Verwaltern nachgelaufen, hat Europa nur über sich ergehen lassen. Schröders vergebliche Suche nach „Standards“ zeigt nur, daß die SPD selbst jetzt noch unfähig ist, sich politisch zu bewegen. Unter einem Schröder kann der Standortkampf, der Europa wie seine Nationen nur immer mehr schwächt, wie gehabt weitergehen. Claus Koch
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