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Gericht weist Jelzin in die Schranken

Das russische Verfassungsgericht verdonnert den Staatschef dazu, das Beutekunstgesetz abzusegnen. Damit geht das Verfahren in die nächste Runde  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Die hysterische Debatte über die Rückgabe der Beutekunst wird noch lange nicht versiegen. Gestern entschied das russische Verfassungsgericht, Präsident Boris Jelzin habe gegen die Konstitution des Landes verstoßen, indem er dem Gesetz des Parlaments seine Unterschrift verweigerte: „Der russische Präsident hat kein Recht, ein föderales Gesetz nicht zu unterzeichnen, da es auch ein zweites Mal von der Duma und dem Föderationsrat gebilligt wurde“, heißt es in dem Urteil.

Im Laufe einer Woche muß der Kremlchef dem Entwurf nun erstmal durch seine Unterschrift Gesetzeskraft verleihen. Ein Urteil des Verfassungsgerichtes dulde keinen Aufschub, auch wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen, erläuterte Jelzins Vertreter beim Verfassungsgericht, Sergej Schachrai. Danach steht es dem Präsidenten offen, sich nochmals an das Gericht zu wenden.

Jelzins Haltung, mehr als 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, die von der Roten Armee aus Deutschland und anderen europäischen Staaten als Beutestücke mitgenommenen Kunstgegenstände wieder zurückzuführen, stellt in der russischen Öffentlichkeit noch eine Minderheitenmeinung dar.

Nachdem Boris Jelzin im vergangenen Jahr sein Vetorecht nutzte, um das „Restitutionsgesetz“, wie es im Russischen heißt, zu verhindern, rief das von Kommunisten und Chauvinisten dominierte Parlament die höchste Rechtsinstanz des Landes um Klärung an. Die juristische Auseinandersetzung kann sich noch über Jahre in die Länge ziehen. Sergej Schachrai kündigte unmittelbar nach der Urteilsverkündung weitere Maßnahmen des Präsidenten an. Zunächst soll das Gericht klären, ob die Abstimmungsprozedur rechtlich untadelig verlaufen ist. Während der fraglichen Dumasitzung, behauptet die Partei des Präsidenten, hätten die Parlamentarier für abwesende Kollegen mit abgestimmt. Die Aussicht, daß dieser Einwand vor dem Gericht Gehör findet, ist indes mehr als unwahrscheinlich. Sollten die Richter den Einspruch gelten lassen, würde das eine Lawine auslösen. Die Abstimmungspraxis wurde oft auch bei anderen Gesetzen bemängelt, aber bislang noch nie für unzulässig erklärt. Doch darum geht es eigentlich auch nicht. Der Präsident will Zeit gewinnen und Freund Helmut Kohl beweisen, daß er zu seinem Wort steht.

Erkennt das Gericht die prozeduralen Mängel nicht an, plant Schachrai, den Inhalt des Gesetzes vom Verfassungsgericht prüfen zu lassen. Nach Artikel 15, Absatz 4 der russischen Verfassung erweisen sich „allgemein anerkannte Prinzipien und Normen des internationalen Rechts sowie von der Russischen Föderation geschlossene internationale Verträge als integraler Teil ihres Rechtssystems“. Die Verfassung geht in diesem Punkt sogar noch weiter. Weichen russische Gesetze von der internationalen Rechtsprechung ab, gelten letztere.

1990 unterzeichneten die UdSSR und Deutschland eine Vereinbarung, die die Rückführung der Beutekunst in Aussicht stellte. Zum ersten Mal wurden die Geheimnisse um die verschollenen Kulturgüter gelüftet. Die Abkommen stützten sich auf die Haager Konvention (1907) und die Londoner Deklaration (1943). Beide besagen, Kulturgüter und Kunstgegenstände dürfen nicht als Beutestücke angesehen werden.

Auf diesen Vertrag bezog sich auch gestern die Bundesregierung in einer ersten Stellungnahme. Ein Sprecher sagte, die Bundesregierung sei nach wie vor davon überzeugt, daß das Gesetz internationalem Recht und den völkerrechtlichen Verpflichtungen widerspreche. In der russischen Öffentlichkeit mag man sich mit der internationalen Auslegung indes nicht anfreunden. Die Überlegung folgt dem alttestamentarischen Prinzip, Auge um Auge... Daß der Sieger des Weltkrieges sich damit auf eine moralische Stufe mit dem Aggressor begibt, ist nur wenigen Beteiligten bisher bewußt geworden.

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