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„Nennt mich Joseph, nicht Judas“

Atomwerker funktionierten grünen Wahlkampfauftakt in Biblis zum Happening um. Die Forderung nach dem Atomausstieg ging im Pfeifkonzert unter  ■ Aus Biblis Klaus-Peter Klingelschmitt

Alwin Fitting hatte seine Männer im Griff: „Lassen wir den Joschka doch ein paar Sätze sagen“, appellierte der Betriebsratsvorsitzende des AKW Biblis und Boß des Gesamtbetriebsrates von RWE an die mehr als 1.000 außer Rand und Band geratenen Atomwerker in der Riedhalle zu Biblis. Der Lärmpegel sank für Sekunden unter die Phonstärke startender Düsenflugzeuge. Schließlich hieß die Veranstaltung mit dem unerwartet großen Zuspruch am Montag abend ursprünglich: „Grün ist der Wechsel“.

„Liebe Kolleginnen und Kollegen!“, begann Fischer leicht provokativ. Und schon war in der Halle wieder die Hölle los: „Steht auf, wenn ihr vom Kraftwerk seid!“, sangen tausend Kehlen nach der Melodie von „Together!“. Und auf den Stühlen stehend skandierten die Atomwerker minutenlang: „Judas, Judas, Judas!“ Fischer dazu: „Ihr dürft mich alles nennen, aber nennt mich nicht Judas. Nennt mich Joseph!“ Da ging einigen im Saal kurz die Puste aus.

Der grüne Auftakt zur Bundestagswahl geriet zur Performance der Gegner, die an diesem Abend nicht nur vom AKW Biblis aus in einer Demonstration zur Riedhalle gezogen waren. Aus fast allen AKW der RWE waren Atomwerker in Bussen nach Biblis gereist. Wie in Gorleben: Friesennerze, Helme und Trillerpfeifen überall; keine Haßmasken. Welt verkehrt.

„Wir machen die grünen Plattmacher platt“, krakelte einer schon vor der Halle. In den Bussen und auf einer Betriebsversammlung im AKW Biblis waren zuvor schon Hunderte von Sixpacks geknackt worden. Die Betriebsräte mußten cholerische Kollegen beruhigen. Auch die Polizei zeigte sich kurz – zum Schutz der Grünen. „Eine Stimmung wie bei der Eintracht in der Westkurve“, kommentierte einer der wenigen Grünen, der noch in die von den Demonstranten schon eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn besetzte Halle gelangt war.

Die Rede der neuen hessischen Umweltministerin Priska Hinz zum Entwurf der Grünen für ein Ausstiegsgesetz war zuvor im Lärm untergegangen. „Ausziehen!“, brüllte die Menge. Und: „Auf Wiedersehen!“ Die sichtlich konsternierte Ministerin ließ anschließend Manuskripte ihrer Ansprache verteilen. Die maximale AKW-Laufzeit, heißt es darin, beträgt nach den Vorstellungen der Grünen nur noch 25 Jahre. BiblisA und andere Altmeiler wären dann sofort nach einem Wahlsieg von SPD und Grünen im Herbst fällig; BiblisB im Jahre 2002. Für den Betriebsratsvorsitzenden, dem die Grünen zu Veranstaltungsbeginn „aus taktischen Gründen“ Redezeit eingeräumt hatten, eine „blanke Provokation“. Stehende Ovationen für Fittig.

„BiblisA war die längste Zeit am Netz, egal wer im Herbst die Wahlen gewinnt“, rief dann Fischer in einer weiteren „Atempause“ den Tobenden zu. Und deshalb seien Atomkraftgegner und -befürworter gerade im Interesse der Arbeitsplatzsicherung gezwungen, für die Zeit danach eine gemeinsame Plattform für einen Energiekonsens in Biblis zu entwickeln: „Kraftwerksstandort ja – Nuklearstandort nein.“ Da wurde dann wieder kräftig in die Trillerpfeifen geblasen. Der neue Slogan hieß in Anspielung auf den Wahlausgang in Sachsen-Anhalt: „3,1 Prozent.“

Dann war Schluß. Ein durchnäßtes Transparent blieb auf dem Parkplatz vor der Halle hängen: „Für wen sorgen die Grünen? Nur noch für ihre Cousinen.“

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