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Seit dem Brüsseler Gerangel um die Zentralbankbesetzung vom letzten Wochenende stimmt die Chemie zwischen Bonn und Paris nicht so ganz. Auch wenn beide Regierungen vor dem deutsch-französischen Gipfel in Avignon betonen, der Streit sei abge

Seit dem Brüsseler Gerangel um die Zentralbankbesetzung vom letzten Wochenende stimmt die Chemie zwischen Bonn und Paris nicht so ganz. Auch wenn beide Regierungen vor dem deutsch-französischen Gipfel in Avignon betonen, der Streit sei abgehakt und das Treffen Routine.

Kein Verständnis für deutschen Ärger

In Avignon, wo ein bekanntes Volkslied die Leute auf der Brücke tanzen läßt, haben Bundeskanzler Helmut Kohl und Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac heute und morgen Gelegenheit, ihre angeschlagenen Beziehungen zu testen. Denn drei Tage nach dem tumultartigen Europa-Gipfel in Brüssel, bei dem den Franzosen ein halber Durchmarsch gelang und der in Bonn vehemente Reaktionen ausgelöst hat, treffen die beiden Männer sich zum 71. deutsch-französischen Gipfel. Eine Gruppe von Ministern, die auf deutscher Seite kleiner sein wird als üblich, begleitet sie.

Wenn es nach den Gastgebern geht, ist Avignon trotzdem reinste Routine. Statt über vergangene Zeiten wollen die Franzosen bereits über die Post-Euro-Ära reden. Anvisierte Themen sind die Erweiterung der Europäischen Union nach Osten, die Reform der europäischen Institutionen und die Finanzierung der Erweiterung. Daneben sollen wie üblich die internationale Lage und die bilaterale Militärkooperation besprochen werden. Der Euro und die heftig umstrittene Spitzenbesetzung der Europäischen Zentralbank sind für Paris längst beschlossene Sache.

„Der Kompromiß ist unter Dach und Fach“, heißt es am Sitz des französischen Staatspräsidenten lakonisch. „Die Diskussion über den Euro hat stattgefunden“, verlautet ebenso kategorisch aus dem Umkreis von Premierminister Lionel Jospin. Und selbst nachdem Theo Waigel gestern unverhohlen drohte, der Niederländer Wim Duisenberg könne, wenn er bloß wolle, trotz der Brüsseler Abmachung seine volle Amtszeit von acht Jahren an der Spitze der europäischen Zentralbank absitzen, blieb Paris stoisch. „Juristisch könnten wir nichts tun, wenn Herr Duisenberg entgegen seiner Versicherung länger auf dem Posten bleiben würde“, heißt es im Elysée. Mit Betonung auf „juristisch“.

Denn bei der Zentralbankbesetzung geht es wie oft in Europa weniger um rechtliche Fragen als um politische Symbole. Und da hat Jacques Chirac mit seinem Beharren auf dem eigenen, französischen Zentralbankkandidaten Jean- Claude Trichet, der den Niederländer Duisenberg im Jahre 2002 ablösen soll, richtig gelegen. Innenpolitisch zumindest hat ihm sein Durchmarsch eine Menge Respekt eingebracht. Daß die Zahl der GegnerInnen groß ist, trägt eher noch zu seinem Ruhm bei. Schließlich hat Frankreich dringend einen europäischen Erfolg gebraucht, nachdem es dort jahrelang seine Initiativen nicht durchsetzen konnte.

So hatte Paris versucht, einen Monsieur Pesc einzuführen, der die europäische Außen- und Sicherheitspolitik koordinieren sollte; hatte auf eine europäische Besetzung des Nato-Südkommandos gepocht; hatte die Aufwertung der WEU zur europäischen Verteidigungsorganisation verlangt; und hatte eine europäische „Wirtschaftsregierung“ als Kontrollorgan der Zentralbank einführen wollen. Immer endeten diese Vorstöße im Frust. Jedesmal auch, weil die von Bonn erwartete Unterstützung ausblieb.

Diplomatische Erfolge verbuchte Paris statt dessen auf der größeren, internationalen Ebene der Handelsabkommen. Da konnte es 1993 bei den Gatt-Verhandlungen Ausnahmeregeln für die Kultur durchsetzen und zuletzt in der vergangenen Woche mit seinem Veto gegen das geplante Nordatlantische Freihandelsabkommen und das Multilaterale Investitionsabkommen MAI verhindern.

Daß Chirac bei der Zentralbankbesetzung nicht nachgeben würde und konnte, mußte allen Beteiligten, Bonn eingeschlossen, klar sein. Paris hatte aus der Bedeutung, die der eigene Kandidat hatte, nie einen Hehl gemacht. Auch wenn Trichet nach französischer Einschätzung nicht anders arbeiten würde als Duisenberg, sondern ein „Monetarist (ist), wie er den Deutschen gefällt“. Die positive Reaktion der Finanzmärkte auf den Brüsseler Kompromiß bemüht die französische Spitze zusätzlich als Beweis für die Richtigkeit ihres Durchmarsches. Deutsche Animositäten als Reaktion auf den französischen Erfolg in Brüssel finden deswegen in Paris wenig Verständnis.

Von Problemen zwischen Bonn und Paris, von einer Abkühlung der seit Jahrzehnten guten Beziehungen gar, will Paris nichts wissen – weder der neogaullistische Präsident Chirac noch der sozialistische Premier Lionel Jospin. Die Verärgerung in Bonn, die Kritik der eurofeindlichen deutschen Basis an Kohls Brüsseler Zugeständnissen und der indirekten Wahlhilfe, wonach er bereits in Frankreich den SozialistInnen an die Macht verholfen habe, betrachtet die französische Spitze als „innere deutsche Angelegenheiten“.

Beide zeigen auch „Verständnis für die Bindung an die Mark“. Aber zugleich kommt Kritik auf – darunter der Hinweis auf eine „Überreaktion in Deutschland“, darauf, daß Europa seine großen Entscheidungen „immer nur mit Hilfe von Kompromissen gefällt hat“, und die Erinnerung, daß „die deutsch-französische Entente“ noch alle Divergenzen zwischen den beiden Ländern und innerhalb Europas überwunden hat“.

Daß Theo Waigel im Gegensatz zu anderen deutsch-französischen Gipfeln nicht kommen wird, wollen die Gastgeber nicht übelnehmen. Waigel hatte seine Abwesenheit bereits vor dem Europa-Gipfel angekündigt. Im Pariser Wirtschafts- und Finanzministerium des Dominique Strauss-Kahn will man glauben, daß sie „nichts mit dem Euro“ zu tun und daß Waigel „Verpflichtungen wegen des Wahlkampfes in Bayern“ habe.

Daß der Bonner Wirtschaftsminister Rexrodt gestern nachmittag in Bonn wegen einer „internen Verpflichtung“ ebenfalls überlegte, nicht nach Avignon zu fahren, war in Paris unbekannt. Alle in Paris dafür eingeplanten Minister bereiteten unterdessen wie geplant ihre Reise nach Avignon vor. Wenn es aus Bonn unerwartetes Fehlen gebe, sei das ein „deutsches Problem“, erklärte ein Sprecher im Elysée ungerührt. Dorothea Hahn, Paris

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