: Oskars Internationale lädt zum Tanz
Eine Konferenz der Sozialistischen Internationale ging der Frage nach, ob es ein gemeinsames sozialdemokratisches Projekt in Europa geben kann oder ob weiterhin das Motto gilt: Jeder für sich, und das Kapital gegen alle ■ Aus Berlin Christian Semler
Berlin (taz) – „Mit der Globalisierung haben sich die Probleme internationalisiert. Das ist für uns nicht schlimm. Schließlich sangen wir mal die Internationale.“ Viel fehlte nicht und Oskar Lafontaine hätte im Willy-Brandt-Haus in Berlin das gute alte „Wacht auf!“ selbst angestimmt. Denn die Konferenz „Globalisierung gestalten“, veranstaltet von der Friedrich- Ebert-Stiftung und der Kommission „Globaler Fortschritt“ bei der Sozialistischen Internationale (SI), wurde zu seinem ganz persönlichen Fest. Versammelt waren: führende Genossen aus West- und Südeuropa, mehr oder weniger ergraute Experten, ein leichtgewichtiger Vorständler der Firma Shell. Schließlich schwebte auch noch der Kanzlerkandidat zur Podiumsdiskussion ein. Die am Donnerstag abend zu Ende gegangene Veranstaltung gab Aufschluß über zwei wichtige Fragen: Kann es eine gemeinsame Politik der europäischen Sozialdemokraten in der Europäischen Union geben? Wenn ja, welche?
Mittlerweile hat sich herumgesprochen, daß die EU demnächst von einer erdrückenden Mehrheit sozialdemokratischer Regierungen beherrscht sein wird. Jetzt wird sich erweisen, ob ein weiteres Mal die Sozis in der Opposition treffliche Internationalisten, in der Regierungspraxis aber die eifrigsten Verfechter nationaler Kapitalinteressen abgeben. Lafontaine sieht hier die Schubkraft einer objektiven Tendenz am Werk: „Uns alle wird die Globalisierung zwingen, wieder zu Sozialdemokraten zu werden.“ Was meint, daß Politik („Gestaltung“) in die Marktkräfte regulierend eingreifen muß. Auf der Ebene des Nationalstaats, im Rahmen der EU, aber auch interkontinental: mit neuen Regelungen zur Stabilisierung der Wechselkurse und zur Einschränkung des weltweit spekulierenden Kapitals. Hier traf sich Lafontaine mit dem amerikanischen Ökonomen Robert Kuttner, der seinem Publikum eröffnete, Freihandel sei keineswegs dasselbe wie ungehinderte, spekulative Kapitalflüsse.
Ein weiterer Amerikaner, Michael Priore von der Denkfabrik M.I.T., zerpflückte in dem spannendsten Referat der Konferenz die Vorstellung von der Innovation als abgeschotteter Domäne des kapitalistischen Betriebs. Er zeigte anhand von Fallbeispielen, wie über die Branchen hinweg Kooperation und Dialog als Voraussetzung neuer Entwicklungen fungieren, daß die amerikanische Erfahrung eben aus zwei Elementen besteht: dem individualisierenden Wettbewerb und dem kollektiven, von Lern- und Diskussionsprozessen durchzogenen öffentlichen Raum.
Diese Aufmunterungen aus Übersee nährten die Fragestellung, wie ein gemeinsames Vorgehen zumindest der europäischen Sozialdemokraten zu bewerkstelligen sei. Felipe Gonzales stellte den bisherigen Anstrengungen ein schlechtes Zeugnis aus: „Wir haben kein europäisches Projekt, keine Einigung über die demokratischen Spielregeln in Europa, keine Vorstellungen über die Balance der Machtverhältnisse. Wir verstehen nicht, was wir mit Europa anfangen sollen.“ Aber brauchen die Sozialdemokraten überhaupt ein „Projekt“?
Die französischen Sozialisten waren auf der Konferenz ganz entschieden dafür. Selbstsicher trugen sie ihr Viererpack von Wachstum durch Steigerung der Nachfrage, staatlicher Wissenschafts- und Technologieförderung, Reduktion der Arbeitszeit und 350.000 neuen Stellen für Jugendliche im öffentlichen Sektor vor. Der Sekretär der französischen Sozialisten schlug drei Eckpunkte für das „gemeinsame Projekt“ vor: Regulierung der Marktwirtschaft, Vollbeschäftigung sowie Chancengleichheit einschließlich der Eingliederung marginalisierter Gruppen.
Ein klassisch etatistisches Modell, transponiert auf die europäische Ebene. Aber wer agiert in Europa? Eine europäische civil society existiert ebenso wenig wie ein europäischer öffentlicher Raum. Darauf machte Portugels Regierungschef Guterres aufmerksam. Für ihn ist eine europäische sozialdemokratische Programmatik unvereinbar mit den tiefen Unterschieden zwischen den europäischen Gesellschaften.
Noch weniger schmeckte die Musik, mit der die Franzosen auf der Konferenz dominierten, dem Kanzlerkandidaten der SPD. Gerhard Schröder verbeugte sich in der Podiumsdiskussion ein paar Mal höflich in Richtung einer europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik einschließlich gemeinsamer sozialer Mindeststandards und eines gemeinsamen europäischen Tarifrechts. Was er aber konkret ins Konzert der europäischen Sozialdemokraten einbrachte, war das „Bündnis für Arbeit“. Keine verlockende Perspektive für die West- und Südeuropäer angesichts der Schwäche ihrer Gewerkschaften. Schröder wiegelte alle hochfahrenden Pläne ab: „Wir stehen in Europa nicht vor epochalen Entscheidungen. Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.“ Damit kann jeder leben, einschließlich des Bundesverbandes der deutschen Industrie.
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