: Die Kehrseite des liebevollen Millionengeschäfts
■ Macher der Love Parade und Behörden streiten um die Einhaltung von Auflagen zu Müll, Toiletten und Kommerzangeboten. Love Parade schuldet Bezirk noch 10.000 Mark von 1997
Die Menschen können noch so friedlich und liebevoll sein – wenn sie sich in Millionenstärke versammeln, „gefährden sie unmittelbar die öffentliche Sicherheit und Ordnung“. So begründet die Innenverwaltung die Auflagen für die Veranstalter der Love Parade am 11. Juli im Tiergarten. In einer dreiseitigen Begründung schreibt die Innenverwaltung dem Love-Parade- Organisator „Planetcom“ vor, wie er mit Müll und Fäkalien, der Sicherheit der BesucherInnen und mit der Vermarktung des Spektakels umzugehen hat. Wie auch in den letzten Jahren liegt Planetcom mit der Innenverwaltung und dem Bezirk im Clinch über die Auflagen für den Tiergarten-Rave.
So schreibt die Verwaltung den Organisatoren vor, für 250 Toilettenhäuschen und für Müllcontainer im Abstand von 50 Metern zu sorgen. Auch das Abgeordnetenhaus hat in der letzten Woche beschlossen, daß Plantetcom ein Müllkonzept vorlegen soll. „Die Container sind Schwachsinn, weil sie von den Menschen zertrampelt werden und ein Sicherheitsrisiko sind. Das sagt auch die Müllabfuhr“, meint Planetcom-Sprecher DJ Disko. Man werde die Zuschauer wieder bitten, den Müll auf die Straße zu werfen, wo er leicht zusammengekehrt werden könne. Dem Harndrang der BesucherInnen will Planetcom noch stärker entgegenkommen als gefordert: „Wir wollen 650 Toiletten aufstellen“, meint Disko. Die dafür benötigten 250.000 Mark sollen über Spenden etwa von „Partner für Berlin“, den Hotelbetrieben oder der Getränkeindustrie zusammenkommen. Bisher seien 100.000 Mark gesammelt worden.
Außerdem muß der Veranstalter „Baudenkmäler und Tunnelhäuser“ am Tiergarten so sichern, daß eine Besteigung verhindert wird. Die Innenverwaltung macht zudem Auflagen, die die Vermarktung der Love Parade betreffen. Weil der Aufzug als politische Veranstaltung klassifiziert ist – wozu es im vergangenen Jahr eigens eines Senatsbeschlusses bedurfte –, sind Verkaufsstände für T-Shirts oder CDs „nur insoweit versammlungsrechtlich abgedeckt, als die Abgabe der Produkte zum Selbstkostenpreis erfolgt“. Dieser Preis sei der Versammlungsbehörde „durch Vorlage entspechender Einkaufsbelege“ nachzuweisen. Schließlich, so die Behörde, sei es nicht „Sinn des Versammlungsrechts, eine günstige Verkaufsbasis für die vermarkteten Produkte zu schaffen oder irgendwelche Demonstrationskosten zu refinanzieren“. Auch kostenlose Stellplätze für Medienvertreter gäbe es nicht nach dem Versammlungsrecht. Diese muß Planetcom beim Bezirksamt Tiergarten beantragen.
Dort aber hat man mit dem Veranstalter ohnehin noch eine Rechnung offen. Die Miete für die Benutzung von Siegessäule und Tunnelhäusern am Großen Stern von 10.000 Mark aus der Love Parade des letzten Jahres ist noch nicht bezahlt. Tiergartens Baustadtrat Horst Porath (SPD) fürchtet, wieder auf dem Müll der Raver sitzenzubleiben. „Wenn der Senat die positive Seite, die Imagewerbung für Berlin, sieht, soll er auch die Kehrseite der Love Parade betrachten“, so Porath. Ingesamt habe er 1,3 Millionen Mark, um im ganzen Bezirk das ganze Jahr über Parks, Schulhöfe und Kitas sauberzuhalten. „Da sind die 250.000 Mark für die Müllbeseitigung einfach nicht drin“, sagt Porath. Der Senat sei an den Einnahmen aus der Love Parade – nach Angaben der Veranstalter ließen die Raver 1997 insgesamt 180 Millionen Mark in der Stadt – immerhin über die Umsatzsteuer beteiligt und müsse sich deshalb auch finanziell in die Pflicht nehmen lassen. Neben einer Müllregelung fordert er einen Fonds, aus dem die Wiederanpflanzungen und Aufforstungen im Tiergarten finanziert werden sollen. „Das können wir erst machen, wenn diese Modeerscheinung Love Parade wieder vorüber ist – sonst wird ja alles im nächsten Jahr wieder zertrampelt.“
Klagen gegen die Love Parade wie im letzten Jahr gibt es 1998 nicht. DJ Disko führt das darauf zurück, daß sich das Selbstverständnis der Parade besser manifestiert und sie mehr akzeptiert wird. Der Umweltschutzverband BUND, der 1997 die Klagen unterstützte, ist eher resigniert. Klagen gegen Streckenführung und Lärm seien gescheitert, meint Martin Schlegel vom BUND, „und beim Müllkonzept reden wir nicht so sehr über die Müllabfuhr, sondern darüber, ob ein solcher Müllberg aus Dosen und Plastik nicht durch Mehrwegsysteme zu reduzieren wäre.“ Überhaupt versagen nach seiner Meinung bei der Love Parade auch im ökologischen Bereich die Reaktionsmuster: „Die Veranstaltung leidet einfach an ihrer Größe. Eine Million Menschen auf einem Fleck, das kann nicht ökologisch sein. Man müßte fragen: Kriegt man das nicht dezentral hin? Auch die Spiele der Fußball-WM sehen die meisten ja am Fernseher.“ Bernhard Pötter
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