Portrait: Eine enttäuschte Studentenliebe
■ Enrico Rudolph
Er war der Studentenführer neuen Typs. Enrico Rudolph wollte nicht wie Rudi Dutschke eine außerparlamentarische Opposition. Der 28jährige Informatikstudent gehörte einer Art innerparlamentarischen Opposition an: 2.600 Berliner Studenten, die aus Protest gegen die Situation an den Hochschulen FDP-Eintrittsformulare unterschrieben. „Die FDP mit ihren 2.700 Mitgliedern – die Mehrheit Karteileichen – ist am leichtesten zu übernehmen“, kündigte Rudolph noch im Frühjahr forsch an. Er und das Berliner Projekt Absolute Mehrheit (Pam) erlebten daraufhin einen medialen Aufschwung wie kaum eine andere studentische Gruppierung. Kaum ein Medium ließ es sich entgehen, Rudolph und Pam als die Studentenbewegung der 90er zu zeichnen: Radikal – in ihrer Gewitztheit. Gegen das System – aber kein bißchen umstürzlerisch. Nicht der reale Kämpfer Che Guevara war Pate der Bewegung, sondern die silikondekolletierte „Pam“ Anderson aus der Erotik-Soap Baywatch.
Jetzt zickt Pam. Das Projekt hat Rudolph den Laufpaß gegeben. „Egozentrisches Auftreten“ wird dem gebürtigen Dresdner vorgeworfen und „daß er sich fälschlicherweise als Sprecher des Projekts ausgegeben hat“. Wie es sich für die 98er gehört, wahrt Pam auch im Moment der Trennung die Contenance. „Wir bedanken uns für seine Bemühungen“, heißt es in einer dürren Mitteilung. Der gelernte Buchbinder Rudolph ragte wegen seiner kessen Sprüche heraus. „Wir werden nicht gleich alle alten Funktionäre hinauswerfen“, beruhigte er die FDP gönnerhaft, als die Partei die ersten der am Ende 600 Kaperer aufgenommen hatte. Von Anfang an paßte er gut in die Umfallerpartei. Zeitweise beschränkte er sich darauf, „das Programm der FDP ändern“ zu wollen. Als die Liberalen gar nicht liberal Hunderte Beitrittswilliger zurückwiesen, „schwoll“ ihm wieder die „Arterie“: „Das wird uns um so mehr anspornen, die Partei umzukrempeln.“
Enricos Hinauswurf durch Pam folgt der absurden Logik der Basisdemokratie. Denn Sprecher war er nie, weil die Initiatoren glatt vergaßen, sich formale Strukturen zu geben. „Das war ein Fehler“, räsoniert Rudolph heute. Nun, da ihn Pam verabschiedet hat, kann er sich ganz seiner neuen Liebe, der FDP, widmen „Ich gebe nicht auf halbem Wege auf: Meine Altersklasse braucht mehr Einfluß.“ Christian Füller
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