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Mildes Urteil für Frau, die Ehemann anfuhr

■ Verwarnung für Sozialarbeiterin, die "im erregten Zustand" ihren Mann verletzte, weil er das gemeinsame Kind nach Tunesien gebracht hatte

Das Urteil ist eine kleine Sensation. Die 30jährige Sozialarbeiterin Ute L., die ihren aus Tunesien stammenden Noch-Ehemann am Flughafen Tegel mit dem Auto angefahren hatte, ist gestern von der 35. Großen Strafkammer des Landgerichts lediglich verwarnt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte 21 Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen versuchten Totschlags gefordert. Das Gericht unter Vorsitz von Ralph Ehestädt sah aber nur gefährliche Körperverletzung als erwiesen an. Der Angeklagten wurde eine Geldstrafe von 2.250 Mark für den Fall angedroht, daß sie innerhalb der nächsten zwei Jahre erneut straffällig wird. Ein so mildes Urteil sei noch nie von einem Berliner Schwurgericht gefällt worden, sagte gestern der Vorsitzende Richter. Normalerweise würden bei den für Mord- und Totschlagsdelikten zuständigen Strafkammern Freiheitsstrafen von etwa zehn Jahren verhängt werden.

Hinter dem Vorfall, über den die Kammer drei Tage verhandelt hatte, verbirgt sich das Drama einer gescheiterten binationalen Ehe. Ute L. ist Deutsche, ihr Noch- Ehemann Monji L. gebürtiger Tunesier. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagte Ute L., die den Mann 1992 als Sozialarbeiter in einer Ausländer-Beratungsstelle kennengelernt hatte. Inzwischen ist die Beziehung zerrüttet.

Trotzdem kann Ute L. nicht einfach ihres Weges gehen, weil sie mit Monji L. ein gemeinsames Kind hat: die dreijährige Chahrazad. Mutter und Tochter haben sich am 13. Januar vergangenen Jahres zum letztenmal gesehen. Das Kind kennt die Mutter heute vermutlich nicht mehr. An diesem Tag war Monji L. mit seiner Tochter nach Tunesien geflogen – verabredet war ein einwöchiger Kurzurlaub. Nachdem er in seiner Heimat angekommen war, teilte Monji L. seiner Frau telefonisch mit, daß die Tochter Chahrazad bei seinen Eltern aufwachsen werde.

Ute L. konnte das nicht glauben. Eine Woche später fuhr sie zum Flughafen, um die beiden abzuholen. Doch Monji L. kam allein. Ute L. saß in ihrem Ford Fiesta, als der Mann das Flughafengebäude verließ. „Verweint und in hochgradig erregtem Zustand“, so die Feststellung des Gerichts, „fuhr sie auf den Ehemann zu.“ Monji L. wurde durch die Scheibe der Eingangshalle gedrückt. Danach setzte Ute L. noch zweimal zurück und wieder vor, aber diesmal hielt ein Heizkörper im Gebäude das Auto auf. Der Tunesier wurde am linken Bein so schwer verletzt, daß er zu 70 Prozent schwerbehindert ist.

Im Prozeß beschuldigte der Mann, der gleichzeitig Nebenkläger war, die Angeklagte, Mordabsichten gehegt zu haben. Ute L. sprach von einer Kurzschlußreaktion. „Ich weiß nicht, was mit mir geschah.“ Die Richter gingen von einer Affekttat aufgrund einer psychischen Ausnahmesituation aus und sprachen von einem „ureigensten Familiendrama“. Monji L. sei mitschuldig, denn er habe seine Frau durch sein Verhalten „herausgefordert“. Überglücklich über den unerwarteten Ausgang des Prozesses sagte Ute L. gestern: „Ich werde alle mir möglichen Wege gehen, um zu meiner Tochter zu kommen.“ Gegen Monji L. läuft zur Zeit noch ein Prozeß wegen Kindesentziehung. Aber wenn er nicht einlenkt, gibt es für ein baldiges Wiedersehen kaum Chancen. Daß Ute L. in Deutschland das Sorgerecht hat, interessiert die Behörden arabischer Staaten nicht. Die einzige Möglichkeit wäre eine nicht ungefährliche „Rückentführung“.

Jede vierte Ehe in Berlin wird nach Angaben des Verbandes binationaler Familien von binationalen Partnern geschlossen. Die Geschäftsführerin des Verbandes, Tatiana Lima-Curvello, warnt davor, den Fall der Eheleute L. zu verallgemeinern. Die kulturellen Unterschiede dürften aber auch „nicht tabuisiert“ werden. Ob eine binationale Ehe funktioniere oder nicht, hänge vor allem von einer toleranten Grundeinstellung der Partner ab. Plutonia Plarre

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