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Morde unter Schutzgelderpressern

■ Die vietnamesischen Mafiabanden nutzen den Handel mit unverzollten Zigaretten zur Schutzgelderpressung von den Straßenhändlern. Tödliche Streite um die Reviergrenzen

Die wiedererstarkten vietnamesischen Mafiabanden haben entgegen weitverbreiteten Vorstellungen nicht direkt mit dem Vertrieb von unverzollten Zigaretten zu tun. Sie sind Trittbrettfahrer, die von den Straßenverkäufern Schutzgelder erpressen. „Viele Zigarettenverkäufer würden die Abkassierer ja akzeptieren, wenn sie ihnen im Gegenzug Schutz vor konkurrierenden Banden bieten würden“, erklärt eine Kennerin der Szene. „Aber die Verkäufer zahlen an eine Bande und werden von der anderen verprügelt.“ Nur selten werden diese Erpressungen und Prügeleien angezeigt. Denn die Zigarettenverkäufer wissen, daß ihr Gewerbe strafbar ist. Schon aus Angst vor Polizeikontrollen haben sich die Händler auf unauffällige Vertriebsstrukturen spezialisiert. Daß sich die Banden auf das Schweigen ihrer Opfer verlassen können, macht sie stark.

Anfang 1990 bildeten sich die ersten Strukturen der späteren Mafiabanden heraus. Vertragsarbeiter aus den ärmsten mittelvietnamesischen Provinzen hatten sich zu ihrem Selbstschutz in Berlin zum „Bund der Wohltätigen“ zusammengeschlossen. Es ging darum, die aus Vietnam übernommenen und in der DDR weiterbestehenden Privilegien der Funktionärssöhne aus Hanoi aufzubrechen. Die Gruppierung wollte verhindern, daß die Altfunktionäre ihre Machtstellung mißbrauchten und Geld von anderen Vietnamesen erpreßten. Mehr und mehr verfestigten sich jedoch im „Bund der Wohltätigen“ kriminelle Zielsetzungen und Strukturen.

Interne Streitigkeiten im „Bund der Wohltätigen“ führten 1993 zu Spaltungen. Es entstanden die einschlägig bekannten Gruppierungen „Ngoc Thienh“, „Quang Binh“ und „Nghi Xuan“, denen die blutigen Auseinandersetzungen zur Last gelegt werden. Dabei geht es fast immer darum, welche Gruppierung welche Verkäufer abkassieren darf.

Die Gangs haben den Charakter von Männerbünden. Frauen treten, wenn überhaupt, nur als Geliebte der Mafiabosse in Erscheinung. Die Freundschaften werden durch gemeinsame Saufgelage, die in Vietnam undenkbar wären, gefestigt. Die Mitglieder einer Gang sind in der Regel jünger als dreißig, haben kein Bleiberecht in Deutschland und stammen aus denselben vietnamesischen Dörfern. Dennoch ist die Kriminalität kein Export aus Vietnam. Sie ist in Berlin, in der ethnisch und sozial geschlossenen vietnamesischen Community geboren. Selbst Detlef Schade vom Landeskriminalamt kennt keinen Fall, daß ein mutmaßlicher Mafiamann mit einem Vorstrafenregister aus Vietnam eingereist wäre. „Lediglich Kleindelikte wurden einzelnen zur Last gelegt“, sagt er.

Selbst für Kenner der vietnamesischen Mentalität bleibt es ein Rätsel, wie es den jungen Mafialeuten gelingen kann, Macht über weit ältere Zigarettenverkäufer zu erlangen. Nach der unter Vietnamesen lebendigen konfuzianischen Tradition achtet man den Älteren. Doch traditionelle Verhaltensmuster versagen, wenn Zigarettenverkäufer täglich Rechtsbruch begehen. Die Neuankömmlinge werden, so wissen Insider, mental schrittweise in die Bandenstrukturen eingebunden. Erst aufgrund der Erfahrung, keine legalen Erwerbsquellen zu haben, akzeptieren Neuankömmlinge kriminelle Zielsetzungen.

„Es gibt immer mal wieder Versuche, auch legale vietnamesische Händler abzukassieren“, weiß Flüchtlingsberater Klaus-Jürgen Dahler. „Doch die Textil- und Imbißverkäufer können Erpresser bei der Polizei anzeigen.“ Hinzu kommt: Unter legalen Gewerbetreibenden leben traditionelle Werte fort, die es den Banden schwermachen, einen Fuß hineinzubekommen. Allerdings sollen die vietnamesischen Großhandelszentren im Osten der Stadt dank ihrer unklaren Strukturen und der hohen Gewinnspannen bereits für die Mafiabanden attraktiv sein, berichten Vietnamesen hinter vorgehaltener Hand.

Dahler mahnt „vernünftige aufenthaltsrechtliche Regelungen“ für Leute, die seit Jahren hier leben, an. Denn solange Menschen jahrelang im rechtsfreien Raum leben müßten, würden kriminelle Strukturen nachwachsen. Marina Mai

Bericht Seite 21

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