Kommentar: Welche Quote gilt?
■ Claudia Roth und Cem Özdemir wollen Ausländerbeauftragter werden
Vieles spricht für einen Ausländerbeauftragten Cem Özdemir. Es wäre ein ermutigendes Zeichen, wenn „Ausländer“ Jahrzehnte nach ihrer Ankunft nicht nur in die Fußballnationalmannschaft aufgenommen würden, sondern auch in der Exekutive. Özdemir, der smarte Schwabe, ist längst zu einer Symbolfigur gelungener Integration geworden. Für viele Deutsche ist er eine multikulturelle Einstiegsdroge. Er verkörpert den Südländer, der gar nicht so fremd und gefährlich ist. Für die Kinder der Einwanderer symbolisiert er die Hoffnung, daß man in Deutschland selbst als Türke aufsteigen kann.
Es gibt weitere Gründe, die für Özdemir sprechen: seine migrationspolitische Kompetenz, sein Mut, gegenüber der türkischen Community auch unbequeme Wahrheiten anzusprechen. Das alles kann Özdemir für sich ins Feld führen. Auch gegenüber Claudia Roth, der ausgewiesenen Asylexpertin, die als neue Ausländer- und Integrationsbeauftragte gehandelt wird. Denn auf dem Feld der notwendigen Integrationsarbeit müßte die ehemalige Europaabgeordnete ihre Kompetenz erst noch unter Beweis stellen. Nicht ausländerpolitische Polarisierung, für die Roth in der Vergangenheit stand, sondern ein gesellschaftlicher Konsens, wie mit Einwanderung künftig umzugehen ist, ist das Gebot der Stunde.
Aber es gibt auch Argumente, die gegen Cem Özdemir sprechen. Warum sollte der erste Bundestagsabgeordnete nichtdeutscher Herkunft ausgerechnet zum Ausländerbeauftragten ernannt und damit in der Rolle des Berufsausländers festgeschrieben werden? Ein noch ermutigenderes integrationspolitisches Zeichen wäre es, er würde Fraktionssprecher oder umweltpolitischer Sprecher oder... Und kann sich ein Ausländerbeauftragter türkischer Herkunft wirklich von dem Einfluß der eigenen Community befreien und alle Ausländer vertreten? Diese Frage ernsthaft gestellt würde allerdings auch die Neutralität künftiger Richter und Polizisten türkischer Herkunft in Zweifel ziehen und wäre nichts weiter als die alte Angst der Deutschen vor dem Ausländer.
Das wirklich schlagende Argument gegen Özdemir ist, daß er keine Frau ist und die Grünen eine Frauenquote in ihrem Programm festgeschrieben haben und keine für ethnische Minderheiten. Und dagegen kommt Kompetenz nicht an. Eberhard Seidel-Pielen
Bericht Seite 4
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