■ SPD: Schröder macht Scharping und Müntefering zu Ministern: Keine Macht für niemand
Bis gestern nachmittag sah es aus, als würde Oskar Lafontaine der große Verlierer der ersten Machtprobe in der Sozialdemokratie nach dem Wahlsieg werden. Lafontaine wollte den „linken“ Müntefering gegen den „rechten“ Scharping als Fraktionsvorsitzenden durchsetzen. Doch Müntefering stieg gestern aus dem Handgemenge aus. Lafontaine drohte eine Blamage. Damit wäre nicht nur das Links-rechts-Gefüge in der Partei durcheinandergeraten; auch der innerparteiliche Friede wäre perdu gewesen.
Um die Brisanz der Lage zu verstehen, muß man zurückblicken. Der Sieg der SPD 1998 war nicht zuletzt Lafontaines Verdienst. Früher galt er als unberechenbares Enfant terrible in der SPD, der mal für die Auflösung der Nato votierte, dann über Aussiedler herzog. Doch nach seinem Putsch 1995 in Mannheim gegen Scharping gab sich Lafontaine nüchtern und auf Integration bedacht. Ihm glückte, was damals kaum jemand für möglich hielt: das Dauerscharmützel der Enkelgeneration zu befrieden. Zudem besaß Lafontaine die politische Klugheit, Schröder die Kanzlerkandidatur zu überlassen. Dieses Duo – Lafontaine als Denker und Lenker, Schröder als frontman – war die Basis für den SPD-Wahlsieg.
Mit dem Frontalangriff gegen Scharping schien Lafontaine in alte Muster zu verfallen. Gewiß gab es Gründe: Schröder hatte beispielsweise nicht Müntefering, sondern den rechten, machtbewußten Hardliner Bodo Hombach ins Kanzleramt befördert. Hombach (und nicht Stollmann) könnte zu Lafontaines ernsthaftestem Gegenspieler werden. Denn Hombach will die SPD zu einer nach dem Vorbild von Blairs „New Labour“ geformten Partei machen, die ohne Sozialstaats-Schnickschnack auskommen soll. Lafontaine will das Gegenteil: eine SPD, die vor allem für soziale Gerechtigkeit steht. Lafontaines Fehler war es, den unvermeidlichen Kampf um die Linie der Partei nach dem Wahlsieg an dem stets loyalen Fraktionsvorsitzenden Scharping festzumachen.
Doch der Rückfall in die alten SPD-Übel, der endlose, öffentlich ausgetragene Postenstreit, blieb aus. Das ist wohl Schröders Verdienst. Schröder hätte Lafontaine blamieren und Scharping den Fraktionsvorsitz lassen können. Doch er entschied sich für einen salomonischen Kompromiß: Alle werden Minister. Keine Macht für niemand.
Der Machtkampf zwischen Schröder und Lafontaine ist damit bloß vertagt. Er wird sich wahrscheinlich auf die Frage konzentrieren, wer nun Fraktionsvorsitzender wird. Immerhin: Schröder hat begriffen, daß ihm die Demontage Lafontaines nichts nutzt. Auch Enkel werden erwachsen. Stefan Reinecke
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