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Der RAF auf den Fersen

Neue Stasi-Dokumente belegen: Die Bundesregierung wußte 1987, daß die Terroristin Silke Maier-Witt in der DDR war  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) – Die Mitarbeiter des Geheimdienstes waren alarmiert, es drohten diplomatische Folgen auf höchster Ebene. Es war der 7. Dezember 1987, bei einem Arbeitsgespräch in der Außenstelle des Bundeskriminalamtes in Meckenheim wurde der erste und einzige Besuch des Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, in der Bundesrepublik ausgewertet. Anwesend war neben anderen der Genosse Pfarr, der Sicherheitsbeauftragte der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn.

Pfarr konnte nicht ahnen, welche Sprengkraft der Zettel in sich barg, den ihm Abteilungspräsident Horst Krämer, der Leiter der Sicherungsgruppe Bonn, bei diesem Treffen überreichte. Krämer bat um Weiterleiten des Schreibens an die „zuständigen Organe“. In dem „non paper“ wurde um Auskunft über den Verbleib einer „Angela Gerlach“ ersucht. Die Dame, „ca. 30–35 Jahre alt, ca. 170 cm groß“, habe von März 1983 bis März 1986 „an der Fachschule Walter Krämer (Klasse KR-FE/83) in Weimar, Erfurter Str. 83 und an der Medizinische Akademie Erfurt eine Ausbildung zur staatlich examinierten Krankenpflegerin erhalten“. Angela Gerlach, hieß es weiter, soll im Februar 1986 die Ausbildung völlig überraschend abgebrochen haben und anschließend spurlos aus Erfurt verschwunden sein. Dann kam die Frage: „Woher kam Frau Gerlach, und wo ist sie anschließend verblieben?“ Das elfzeilige „non paper“ löste beim DDR- Staatssicherheitsdienst Hektik aus. Es bestätigte den Offizieren der Hauptabteilung Terrorismusbekämpfung, was sie seit über ein einhalb Jahren befürchteten: daß Bonn Hinweise hatte, daß die DDR international gesuchte Terroristen aus den Reihen der Roten Armee Fraktion (RAF) beherbergte. Gewißheit wurde jetzt, wovor der sowjetische Geheimdienst KGB die DDR-Kollegen gewarnt hatte. Schon im März 1986 hatte das KGB übermittelt: „Vorliegenden Informationen zufolge haben die Behörden der BRD einen anonymen Hinweis erhalten, wonach die in Fahndung stehende Terroristin Silke Maier-Witt mit einer BRD-Bürgerin identisch sein soll, die früher an der Fachschule Walter Krämer in Weimar (DDR) studiert und Prüfungen an der Medizinischen Fakultät Erfurt abgelegt hat.“ Vier Monate bestätigte auch die HVA, der Auslandsspionagedienst der DDR, die Warnung.

Für Silke Maier-Witt, die zusammen mit neun anderen aussteigewilligen RAFlern ein Asyl in der DDR gefunden hatte, hatten die Warnungen drastische Konsequenzen. Weil die Stasi eine mögliche Enthüllung der Aufnahme der einstigen RAFler vor Augen hatte, mußte Silke Maier-Witt Erfurt sofort verlassen. Nur wenige Tage nach dem Eintreffen des Telegramms aus Moskau wurde ihr „konspirativer Rückzug“ angeordnet, ihr wurde später eine „neue Identität als DDR-Bürgerin in einem anderen Bezirk“ verschafft. Um zu verhindern, daß die bundesdeutschen Dienste die ihnen vorliegenden Hinweise verifizieren konnten, wurden alle Spuren wie etwa die Fingerabdrücke in der Erfurter Wohnung und am Arbeitsplatz von Maier-Witt verwischt. Das Melderegister der Stadt wurde bereinigt und die Konten der Eingebürgerten aufgelöst.

Mit den Angaben aus dem Bonner „non paper“ gelang es der Stasi anschließend, den Kreis der möglichen Informanten einzuengen. Maier-Witt hatte bei ihrer Einbürgerung in die DDR den Namen Angelika Gerlach erhalten – nur an ihrer Erfurter Schule wurde sie Angela genannt. Und aus dem Kreis der Mitschüler war einer in die Bundesrepublik übergesiedelt. Die Stasi war daher überzeugt, daß nur dieser die Behörden in Westdeutschland auf die Spur der gesuchten RAF-Frau gebracht haben konnte. 1987 mußte sich Maier-Witt einer kosmetischen Gesichtsoperation unterziehen. Auch wenn die Spuren beseitigt waren – die Stasi-Mitarbeiter sahen sich mit neuen Problemen konfrontiert. Jetzt, wo es die Bürgerin Gerlach offiziell gar nicht mehr gab: Was tun, wenn die westdeutschen Behörden auf Auskunft über sie beharrten, wenn die Bundesrepublik am Ende ein formelles Rechtshilfeersuchen stellen sollte?

Die Frage wurde dringlich, denn am 3. März 1988 ging der frühere Beamte aus dem Bonner Justizministerium, Renger, bei einen Empfang in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin einen alten DDR-Gesprächspartner direkt an. Die Behörden in der Bundesrepublik würden nach der Terroristin Silke Maier-Witt fahnden, erklärte Renger dem für internationale Verbindungen zuständigen Genossen Oberthür im DDR- Justizressort – und diese solle, so hielt es die Stasi in ihren Akten fest, „nach Erkenntnissen der BRD-Behörden die DDR-Bürgerin Gerlach, Angela“ sein. Jetzt war die Stasi in Panik. Eine neue Legende mußte her. Diesmal eine, wonach die Gesuchte die DDR wieder verlassen habe. Auf höchster Ebene – Stasi-Vizechef Neiber redigierte die Entwürfe – wurde als Ausweg eine „Republikflucht“ ersonnen. Während Maier-Witt unter dem neuen Namen Sylvia Bayer in Neubrandenburg die Leiterin einer Informations- und Dokumentationsstelle eines pharmazeutischen Betriebs wurde, betrieb die Stasi gegenüber der Bundesrepublik Desinformation. In ihren Akten hielt die Staatssicherheit fest: „Am 24. 5. 1988 wurde einem Vertreter der BRD-Organe (Renger war nicht anwesend) mitgeteilt, daß sich die Angela Gerlach nicht in der DDR aufhält.“ Für den Fall weiterer Nachfragen wurde sogar „folgende überprüfbare Legende für die Beendigung des Aufenthalts der Gerlach in der DDR entwickelt: Die genannte Person übersiedelte 1980 als BRD-Bürgerin aus Portugal in die DDR. Aufgrund ihres Berufes erhielt sie im Gesundheitswesen Arbeit. In den folgenden Jahren nahm sie eine positive Entwicklung. Im April verzog sie überraschend von Erfurt. Dafür gab sie glaubhafte familiäre Gründe an. Im Sommer 1986 kehrte sie von einer privaten Auslandsreise nicht wieder in die DDR zurück. Überprüfungen erbrachten keine Erkenntnisse über ihren derzeitigen Aufenthaltsort sowie zu den Gründen für ihre Nichtrückkehr. Inzwischen wurden die Ermittlungen eingestellt.“ Das Märchen kam nicht mehr zum Einsatz – die Westbehörden stellten ihrerseits die Ermittlungen ein. Ein Rechtshilfeersuchen wollte Bonn nicht stellen. „Aus politischen Gründen“, darauf einigten sich Beamte des Bundesjustizministeriums und der Bundesanwaltschaft, seien Kontakte „mit dem Generalstaatsanwalt der DDR (oberster Ankläger eines Unrechtssystems) unerwünscht“.

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