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Vorbild Bayern

■ Auch Otto Schily läßt surfen: Das Bundeskriminalamt richtet eine Sonderdienststelle zur "anlaßunabhängigen Kontrolle" des Internets ein

Wenn es um Kinderpornographie geht, will die neue Regierung in Bonn nicht hinter der alten zurückstehen – und Otto Schily schon gar nicht. Anlaß bot dem Innenminister seine erste Konferenz mit Länderkollegen vom vergangenen Freitag. Nordrhein-Westfalens Innenminister Behrens brachte eine Initiative ein, wonach beim Bundeskriminalamt in Wiesbanden eine „Zentralstelle zur Bekämpfung der Internet-Kriminalität“ eingerichtet werden möge. Die neue Sonderabteilung soll – nach bayerischem Vorbild – „anlaßunabhängige“ Recherchen im Internet durchführen. Zwar warnen Datenschützer schon länger vor solchen Plänen. Ermittlungen gegen beliebige Personen ohne konkreten Tatverdacht sind kaum mit dem Schutz der Privatsphäre vereinbar. „Anlaßunabhängige Kontrollen“ seien auch im Internet „ein diffiziles Gebiet“, sagte letzte Woche auch der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein.

Doch Otto Schily ließ sich davon nicht beeindrucken. Die Zentralstelle werde „das Internet und die Onlinedienste“ nach „strafrechtlich relevantem Material durchforsten“, sagte er nach der Konferenz in Bonn. Sie werde ihre Erkenntnisse an die Straverfolgungsbehörden der Länder weiterleiten – angesichts der „schrecklichen und verabscheuungswürdigen Vorgänge bei der Kinderpornographie“ sei die Amtshilfe „nicht zu unterschätzen“.

Das Bundeskriminalamt solle ihnen in zwölf Monaten einen „Erfahrungsbericht“ vorlegen, beschlossen die Landesinnenminister außerdem. Doch unabhängig davon, was die Netzpolizei in Wiesbaden ermittelt, steht für die Regierungen der Länder ohnehin fest, daß der Kinderpornographie im Internet nur mit noch schärferen Strafen und noch mehr Kontrolle begegnet werden könne. Bayern hat kürzlich in einer Bundesratsinitiative auch noch die erweiterte Überwachung des Fernmeldeverkehrs, die Anhebung der Mindeststrafe bei Verbreitung von Kinderpornographie von drei auf sechs Monate und die Anhebung der Höchststrafe bei Besitz von Kinderpornographie von einem Jahr auf drei Jahre gefordert.

Die Diskussion ist nicht neu, sie erhält vor allem durch das Internet neue Nahrung. Schon mit der Gesetzgebung vom 1. September 1993, die den Besitz von Kinderpornographie mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht, sollte dem Handel mit kinderpornographischen Erzeugnissen ein Riegel vorgeschoben werden. Die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger begründete den Gesetzentwurf im damaligen Bundestag so: „Mit der Strafbarkeit des bloßen Besitzes bzw. des Besitzverschaffens soll künftig auch der Konsument von Kinderpornographie zur Rechenschaft gezogen werden, denn durch die Nachfrage schafft er den Markt für solche Produkte und ist mitverantwortlich dafür, daß weiterhin solche Machwerke produziert und Kinder zu diesem Zweck sexuell mißbraucht werden.“ Außerdem sollte verhindert werden, daß die Verkäufer kinderpornographischer Videos sich als Sammler ausgeben und von einem Master-Video nur auf Anfrage ihrer Kunden Kopien ziehen.

Die Diskussionen über den Telekom-Dienst Bildschirmtext (Btx, heute T-Online) wirken wie eine Vorwegnahme der jetzigen Internet-Verteufelung: Dem damaligen Postminister Schwarz-Schilling wurde von der Abgeordneten Erika Simm (SPD) unterstellt, Beihilfe zum sexuellen Mißbrauch von Kindern zu leisten. Die Vorwürfe gegen den ehemaligen CompuServe-Chef Felix Somm waren fast gleichlautend – und gleichermaßen unsinnig.

Kinderpornographie ist die einzige Information, deren Besitz als Foto, Zeichnung, Text oder Tonaufnahme strafbar ist. Das hat Pädophile jedoch noch nie daran gehindert, sich Zugang zu diesem Material zu verschaffen. Offenbar ist der Trieb stärker als die Gesetzgebung, so daß die Nachfrage wohl selbst durch schärfste Strafandrohung kaum tangiert werden kann. Beschlagnahmungen stellen lediglich eine Unterversorgung mit dem Angebot her – eine Marktlücke, die von kommerziellen Händlern gefüllt werden kann.

In diesem Sinne war schon die Gesetzesänderung von 1993 fragwürdig. Noch fragwürdiger ist es, dasselbe Gesetz auf ein Medium wie das Internet anzuwenden. Anonymität ist hier nur begrenzt möglich. Über sogenannte Remailer und WWW-Anonymisierer lassen sich die Spuren zwar verwischen, jedoch nie völlig unkenntlich machen – je nach Umfang der staatlichen Kontrollsysteme ist eine Rückverfolgung praktisch immer möglich. Anonyme Zahlungssysteme existieren nicht, und der Verkäufer enttarnt sich schon durch sein Angebot, denn auch der freundliche Fahnder vom Polizeikommissariat 345 in München (www.polizei.bayern.de/ppmuc/ wir/k345.htm) kann es einsehen und bis zur Quelle verfolgen. Das Internet ist deshalb nur für nichtkommerzielle Tauschringe attraktiv; die Argumentation, man müsse den kommerziellen Markt durch Verfolgung der Nachfrager austrocknen, wird hinfällig.

Die im Ausland agierenden Anbieter von Kinderpornos im Internet gehen fast immer straffrei aus. Die Oberstaatsanwaltschaft Frankfurt gibt offen zu, daß man sich der Einfachheit halber auf die inländischen Kinderporno-Besitzer konzentriere. Die internationale Strafverfolgung ist erheblich schwieriger und in vielen Fällen wegen anderer Rechtsauffassungen gar nicht machbar: Was hierzulande sexueller Mißbrauch ist, kann zum Beispiel in Japan völlig legal sein. So sind es die Leser von Newsgroups, die Benutzer von Chats oder Surfer im World Wide Web, die mit Hilfe von Protokollen, V-Männern und spezieller Software verfolgt werden. Die Betroffenen sind sich oft gar nicht der Tatsache bewußt, daß sie etwas Illegales tun, und handeln aus Neugier, oder sie verspüren den Reiz des Verbotenen. Es handle sich meist um „Leichtsinnstäter“; „da waren keine echten Kriminellen drunter“, sagt auch Kriminalhauptkommissar Heinz Fiehl über die von der „Arbeitsgruppe Internet-Recherche“ des Landeskriminalamtes München zur Anzeige gebrachten Kinderporno-Konsumenten.

Nach dem Wunsch vieler Politiker und Kinderschutzinitiativen sollten die Fahnder auch eigene Angebote ins Netz stellen dürfen, um Konsumenten zu ermitteln und zu bestrafen – dies tut das FBI nach Angaben des Kinderporno-Spezialisten Detlef Drewes schon lange. Die letzte Konsequenz solcher Szenarien wäre ein Cross-Posting in die am häufigsten frequentierten Usenet-Diskussionsforen mit einem Verweis auf den Kinderporno-Server. Je weniger dabei deutlich wird, daß man bei einem falschen Klick in der Ermittlungsfalle landet, desto mehr ahnungslose Surfer gehen ins Netz. Durch die Protokolle der Provider und des Servers kann die Identität ermittelt werden. Der Rest ist Sammelarbeit. Das steigert die Aufklärungsquote und ist ein gefundenes Fressen für die Medien: ein neuer Schlag gegen die brutale Kinderschänder-Mafia im Internet.

Die deutschen Polizeibeamten dürften jedoch davon weniger begeistert sein, sind sie doch verpflichtet, jeden angezeigten Fall des Besitzes von Kinderpornographie zu verfolgen. Nimmt dieser Arbeitsaufwand zu sehr zu, steht nicht mehr genügend Zeit für die Fahndung nach den Herstellern und Verbreitern von Kinderpornographie zur Verfügung.

Dabei bietet gerade das Internet neue Chancen im Kampf gegen den Mißbrauch. So könnte man den Abruf von kinderpornographischem Material über Computernetze tolerieren und die Bekämpfung der Kinderpornographie auf den nichtdigitalen kommerziellen Markt konzentrieren. Dies hätte mehrere Konsequenzen. Die Pädophilen erhielten eine Chance zur legalen Triebabfuhr, die einen unmittelbaren Schutz für Kinder bedeuten würde. Der kommerzielle Markt für Kinderpornographie, der besonders für seine Brutalität bekannt ist, könnte damit fast vollständig ausgetrocknet werden, da er seiner Kunden beraubt würde. Die Produktion neuer kinderpornographischer Schriften könnte verhindert werden, da neues Material sich über Mustererkennungsmechanismen blitzschnell lokalisieren und zurückverfolgen ließe. Und den Fahndern bliebe mehr Zeit für die Fahndung nach den Herstellern.

Mittelfristig ließe sich auch über eine Lockerung des Verbots der Verbreitung kinderpornographischer Schriften nachdenken, beispielsweise über eine Abstufung nach Alter der Schrift sowie die Unterscheidung zwischen kommerziellem und nichtkommerziellem Austausch. Das existierende kinderpornographische Material ließe sich so zur Befriedigung der unvermeidbaren Nachfrage gezielt einsetzen. Denn nur ein kleiner Teil der Kinderpornos, die in den spektakulären Fällen dieses Jahres (Zandvoort und „Wonderland“) aufgetaucht sind, stammt aus eigener Herstellung. Das Material ist zu einem großen Teil Jahre, oft Jahrzehnte alt. Durch die harte Bekämpfung nichtkommerzieller Tauschringe wird die Produktion neuer Kinderpornos gefördert.

Wenn es das Ziel der polizeilichen Arbeit ist, den gegenwärtigen und zukünftigen Mißbrauch von Kindern zu verhindern, dann ist der Feldzug im Internet eher kontraproduktiv. Je mehr Material konfisziert wird, desto brutaler werden Kinderpornographen vorgehen, um den Markt mit neuen Zeugnissen ihrer Pathologie zu versorgen. Parallelen zum Kampf gegen den Drogenmißbrauch sind offensichtlich. Der Großteil der Verfahren richtet sich dort gegen Konsumenten, die im Besitz meist weicher Drogen erwischt wurden. Weltweit fordert der Kampf gegen Drogen mehr Todesopfer als die Drogen selbst.

Auch die schärfere Verfolgung von Kinderpornos im Netz trifft nicht den kommerziellen Markt. Sie fördert eher – ungewollt – die weitere sexuelle Ausbeutung von Kindern. Die Abgeordneten, die vor fünf Jahren das Besitzverbot beschlossen, waren sich dieser Zusammenhänge nicht bewußt. Ob ein Umdenken heute noch möglich ist, erscheint fraglich. Roland Beck

rbeck@gmx.de

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