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Wegezoll für Stromstraßen

■ Der Energiemarkt ist liberalisiert – theoretisch. Praktisch versperren hohe Netzgebühren den Wettbewerb für Öko-Strom

Wo man sein Brot, seine Klamotten oder sein Fahrrad kauft, kann man sich aussuchen. Und wen man nicht mag, bei dem kauft man nicht. Das funktioniert seit Ende April dieses Jahres auch auf dem Strommarkt – theoretisch.

Durch eine Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes wurde das über 60 Jahre alte Monopol der Stromkonzerne aufgehoben. „Jeder könnte nun seinen ganz persönlichen Atomausstieg praktizieren“, erläutert Greenpeace-Experte Sven Teske. Doch die Transportwege vom Erzeuger zum Verbraucher – das Stromnetz – besitzen nach wie vor die in der „Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke“ (VDEW) organisierten Konzerne. Wie sie die „Maut“ für die Benutzung berechnen werden, haben sie im Mai mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in der sogenannten „freiwilligen Verbändevereinbarung“ untereinander abgestimmt – und dabei den Endpreis von Öko-Strom „gezielt verteuert“, kritisiert Greenpeace. Während die Durchleitung von Atom- oder Kohlestrom nur rund sechs Pfennig pro Kilowattstunde koste, würden für sauberen Strom zwölf bis 16 Pfennig verlangt.

„Dahinter steht aber ganz sicher kein böser Wille“, beteuert Patricia Nicolai, Sprecherin der VDEW. Grund sei zum Beispiel, daß Öko-Strom witterungsbedingt nur unregelmäßig eingespeist werde, der Verbraucher aber eine „gesicherte Leistung“ verlange – die Reserve müßten die Konzerne stellen. Wer ein ökologisches Produkt wolle, solle halt mehr zahlen – so sei das bei Lebensmitteln schließlich auch.

Ein anderer Grund für den höheren Wegezoll für Öko-Strom liege darin, „daß wir die Entfernung berechnen müssen“, so Mario Spitzmüller, Sprecher der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) – je weiter der Weg vom Haus zum Windrad, desto teurer. „Physikalisch vollkommener Schwachsinn“, kritisiert Teske, „es wird ja nicht wirklich derselbe Strom vom Erzeuger zum Verbraucher transportiert.“ Das Netz funktioniere vielmehr wie ein See, wo man an einer Stelle Wasser zukippt und an einer anderen abschöpft. Technisch erzeuge Öko-Strom bei der Durchleitung keine höheren Kosten, so der Diplom-Ingenieur: „Die Konzerne versuchen lediglich, den Wettbewerb hinauszuzögern.“

Derzeit stammen rund fünf Prozent des bundesdeutschen Stroms aus erneuerbaren Energien, zwei Drittel aus fossilen Brennstoffen und ein Drittel aus Atomkraftwerken. Im Rahmen der Greenpeace-„Aktion Stromwechsel“ haben rund 45.000 BundesbürgerInnen erklärt, zu einem sauberen Stromerzeuger wechseln zu wollen. Die Umweltorganisation fordert, den Netzzugang für alle staatlich zu regeln und präsentierte am Dienstag dieser Woche Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (SPD) in Köln 26.000 entsprechende Apelle von VerbraucherInnen. In Ländern wie England, Niederlande, USA oder Skandinavien, wo die Gebühren gesetzlich geregelt sind, sei die Durchleitung von Öko-Strom fast immer erheblich billiger, betont Teske.

Wie das möglich ist, konnten oder wollten HEW und VDEW auf Nachfrage nicht erklären.

Heike Dierbach

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