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„Allein aus soziologischem Interesse gehandelt“

■ Berliner Kinderarzt steht wegen Verbreitung von Kinderpornographie im Internet vor Gericht

Es geschah im Dienste der Wissenschaft. Mit diesem Argument versuchte sich der 40jährige Mediziner Ludger W. zu rechtfertigen, der sich seit gestern wegen der Verbreitung pornographischer Schriften vor dem Berliner Landgericht verantworten muß.

Er soll in der Zeit zwischen September 1996 und Juni 1997 in mindestens 200 Fällen Daten mit kinder-, tier- und gewaltpornographischen Inhalten über das Internet verbreitet haben. Außerdem soll er einer „nicht feststellbaren Vielzahl“ von Personen ermöglicht haben, aus seinem Datenbestand von zuletzt 9.260 Bildern mit pornographischen Inhalten beliebig viele Kopien zu fertigen. Auf den Bildern soll nicht nur Anal- und Vaginalverkehr zwischen Erwachsenen und Kindern zu sehen sein, sondern auch Folterungen sowie Geschlechtsverkehr an toten Menschen und Tieren. Für den Austausch der Bilder soll der Arzt einen Internet-Anschluß der Berliner Humboldt-Universität benutzt haben. Die Ermittler waren ihm durch einen Tip des Datenschutzbeauftragten auf die Spur gekommen.

Schlips und Kragen, Anzug, Kurzhaarschnitt, brav gefaltete Hände – so präsentierte sich der Angeklagte gestern dem Gericht. Der große Medienandrang war ihm sichtlich unangenehm. Das Reden überließ er lieber seinem Rechtsanwalt. Ludger W. dürfe „keinesfalls mit pädophilen Kreisen in Verbindung gebracht“ werden, argumentierte der Anwalt. Der Angeklagte habe vielmehr „aus soziologischem Interesse“ gehandelt. Weil er nur vom Bildschirm aus agiert habe, habe er sich die Hände nicht schmutzig gemacht: „Jede Tat, die im Zusammenhang mit Kindern begangen wird, wird über einen Kamm geschoren, unabhängig davon, ob der Täter unmittelbar und aggressiv auf ein Kind einwirkt oder ob keinerlei direkte Beziehung zwischen dem Täter und Opfer existiert.“

Während der Vernehmung selbst wurde die Presse ausgeschlossen, um die Privatsphäre des Angeklagten zu schützen. Ob das viel nützt, ist fraglich, denn seinen Job ist der Mediziner ohnehin schon los. Der Mann, selbst Vater einer fünfjährigen Tochter, arbeitete seit 1992 als angehender Röntgenarzt im Berliner Rudolf-Virchow-Krankenhaus. Nach seiner Verhaftung im Frühsommer 1997 war er fristlos gekündigt worden. Seinen Kündigungsprozeß hat er verloren, die Approbation ebenfalls. Dem Angeklagten drohen bis zu fünf Jahren Haft. Mit einem Urteil wird Ende Januar gerechnet. Plutonia Plarre

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