: Beim Atomausstieg hört der Spaß auf
■ Das Atom spaltete schon die erste rot-grüne Koalition – und diesmal?
Geschichte wiederholt sich nicht. Und wenn doch, dann nur als Farce. Historisch ist der Bruch der ersten Koalition zwischen SPD und Grünen im Februar 1987: Crash in Hessen. Die vor allem von der SPD als „Experiment“ bezeichnete Koalition scheiterte am SPD-Ministerpräsidenten Holger Börner. Er und seine SPD glaubten, die Grünen auch in der Atompolitik über den Tisch ziehen zu können. Der Oberrealo und damalige Landesumweltminster Joschka Fischer zog selbst die Notbremse, als die SPD der Plutoniumfabrik Alkem die Verarbeitungsmenge erhöhen wollte. „Bruch des Koalitionsvertrags“, konstatierte Fischer; und das, so die Konklusion, impliziere den Bruch der Koalition. Ministerpräsident Holger Börner ließ sich nicht lange drohen: Fischer wurde gefeuert, „der Dicke“ trat danach selbst zurück – und CDU und FDP gewannen die vorgezogenen Landtagswahlen.
Wird aktuell in Bonn die Wiederholung als Farce präsentiert? Wie 1987 in Hessen: Die Bündnisgrünen bestehen auf der zügigen Erfüllung des Koalitionsvertrags. In dem ist heute der Ausstieg aus der Atomenergie fixiert; und das Verbot der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente. Umweltminister Jürgen Trittin rammt Pflöcke in schwieriges Terrain ein: Auflösung der alten Reaktorsicherheitskommission (RSK) und der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS), Konzeption eines Gesetzes zum Verbots der Wiederaufarbeitung, Besteuerung der Atomenergie. Das ist sein Job. Doch der Bundeskanzler und sein Wirtschaftsminister haben es nicht so eilig wie Trittin.
Der Konsens mit der Atomwirtschaft ist ihr Credo; auch wenn die AKW dann noch mehr als 20 Jahre laufen sollten und die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente in La Hague und Sellafield nicht beendet wird. Der Ton wird rauher: „Wichtigtuerisches Gehabe“ warf Gerhard Schröder abkanzlerisch seinem Umweltminister vor; von den „Rambo-Methoden“ des Jürgen Trittin sprach man im Wirtschaftsministerium. Minister Müller protegierte offen die Energiekonzerne. Ein sofortiger Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung hätte gravierende steuerrechtliche Folgen für die Jahresabschlüsse einiger Unternehmen, hieß es warnend. Der Kanzler erhörte seinen Wirtschaftsminister. Das Thema ist jetzt Gegenstand der Konsensgespräche. Und Trittin tatsächlich zum „Hofnarr der Koalition“ (FAZ) mutiert?
Auch 1987 war es die SPD, die glaubte, die Atomwirtschaft protegieren zu müssen. Trittin hat nichts getan, was nicht dem Geist und den Bestimmungen des Koalitionsvertrags entsprochen hätte. Aber er ist dabei nicht gerade geschickt vorgegangen. Hat der Mann keine Berater mit Drähten zum Kanzleramt und zum Wirtschaftsministerium? Oder wenigstens einen vernünftigen Staatssekretär mit Erfahrung? Den hat er – eigentlich. Rainer Baake war schon Staatssekretär unter Umweltminister Joschka Fischer und dessen NachfolgerInnen in Hessen. Doch Baake verstand es schon in Wiesbaden nicht, etwa die dann über die „Cousinenaffäre“ (CDU) gestolperte grüne Umweltministerin Margarete Nimsch vor sich selbst zu schützen. Politische Verlautbarungen von Brisanz „flüstert“ man den wichtigsten Menschen beim Koalitionspartner zunächst ins Ohr, wartet still die Resonanz ab – und geht dann in die Öffentlichkeit.
Der umgekehrte Weg ist tierisch schwer, aber ganz offenbar der von Trittin: Erst die Schnauze aufreißen, dann den Schwanz einklemmen. Vielleicht glaubt die SPD aber auch, daß die Bündnisgrünen heute nicht mehr mit den Grünen von 1987 zu vergleichen sind; daß sich die Partei aktuell auch in der Atompolitik gängeln und quälen läßt, nur um in der Koalition bleiben zu können. Aber in der Atompolitik einknicken vor einem möglichen Bündnis zwischen Schröder und Müller, den Energiekonzernen und der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie und Energie – gegen die Grünen? Die Legislaturperiode durchstehen ohne die Abschaltung wenigstens der uralten Meiler in Biblis, Obrigheim oder Stade? Die Partei würde das vielleicht gerade noch aushalten. Aber die Wählerinnen und Wähler der Bündnisgrünen nicht mehr. Das müßten auch die „Hyperrealos“ von heute wissen, die von Trittin intern schon „mehr Kompromißbereitschaft“ verlangten. Sie sollten statt dessen mehr politischen Verstand und mehr Verhandlungsgeschick bei ihm einklagen. Klaus-Peter Klingelschmitt
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