: „Ausländerfreunde täte ich aufhängen“
■ An den CDU-Unterschriftenständen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft pöbeln Befürworter der Kampagne. „CDU schreit Tote herbei“, schallt es aus den „Toleranzmeilen“ der Ausländerbeiräte zurück
Frankfurt/Main (taz) – „Toleranzmeilen“ gibt es überall in Hessen an diesem Sonnabend. In der Opelstadt Rüsselsheim geriet die „Meile“ dem Ausländerbeirat allerdings zum laufenden Meter, einem Infostand auf dem Europaplatz. In Sichtweite befindet sich der Wahlkampfstand der Union mit den Unterschriftenlisten gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.
„Abstammung ist kein Privileg, sondern Schicksal“ steht auf den selbstgebastelten Plakaten einer im Stadtparlament vertretenen unabhängigen Gruppierung. „Die CDU schreit Tote herbei“, provozieren die CDU-Gegner. – „Diese Ausländerfreunde tät' ich aufhängen“, giftet eine Frau im Lodenmantel vom CDU-Stand zurück. „Oder an die Wand stellen“, konstatiert ihr Begleiter knapp. Sie unterschreiben schnell die Liste gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. „Der Türke ist nicht integrierbar“, weiß ein etwa 50jähriger Mann einem Wahlkämpfer der Union zu berichten. Der nickt nur kurz, weil ihm ein anderer schon ins Ohr schreit: „Die Türken kommen doch nur hierher, um Sozialhilfe abzukassieren. Und seine Weiber sind jedes Jahr schwanger.“ Von Integration redet kein Unionist und kein Unterzeichner der Liste. Die Christdemokraten in Rüsselsheim stört es auch nicht, als ein stadtbekannter Rechtsradikaler mehrfach krakeelt: „Hier unterschreiben Leute, damit das Pack endlich abhaut.“
Einem der wenigen Menschen, die den Mut aufbrachten, die CDU in dieser aufgeheizten Atmosphäre laut zu kritisieren, wurde von einem Stadtverordneten barsch über den Mund gefahren: „Sie müssen ganz ruhig sein. Sie sind doch aus der grünen Ecke und haben früher mit der RAF zusammengearbeitet.“ Vom Wahlkampfstand der SPD in der Nähe kommt ein junger Sozialdemokrat vorbei: „Weiß der Koch eigentlich, was er da angerichtet hat?“ Ganz offensichtlich. Der Spitzenkandidat der Union im Landtagswahlkampf, Roland Koch, verschickt jetzt Postkarten mit aufgedruckten Unterschriftenlisten gegen die doppelte Staatsbürgerschaft an 1,4 Millionen Haushalte in Hessen.
In der Kreisstadt Groß-Gerau sind rund 150 Bürgerinnen und Bürger dem Aufruf des Ausländerbeirats gefolgt und haben sich vor der Kreisgeschäftsstelle der CDU am Marktplatz versammelt. „Die Kampagne der CDU verstärkt Vorurteile und nutzt nur den Rechtsradikalen“, sagt ein Vertreter der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau über Megafon. „Für Toleranz – gegen Hetze“ steht auf einem Plakat der Bündnisgrünen. Die Mitglieder des Ausländerbeirats haben eine kleine „Toleranzmeile“ aus Styropor gebastelt, die zum Eingang der Geschäftsstelle der Union führt. Ausländer und Deutsche formieren sich zu einer kurzen Demonstration durch die Stadt.
In Frankfurt versammelten sich 500 Menschen zur Bildung einer „Toleranzmeile“ auf der Zeil. Aus Angst vor „Übergriffen“ ließ sich die Union an ihrem Wahlkampfstand von der Polizei schützen. Murat Cakir, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte in Deutschland, spricht von Erfolg. Es bestehe die Hoffnung, „daß sich die moderateren Kräfte in der CDU von den Hetzkampagnen distanzieren“. Klaus-Peter Klingelschmitt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen