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Contergan-Erfinder kooperierte mit KZ

Der Erfinder des Medikaments Contergan, das in den 60er Jahren zu Mißbildungen bei Ungeborenen führte, war an Menschenversuchen im KZ Buchenwald beteiligt. Contergan-Firma verweigert Stellungnahme  ■ Von Armin D. Steuer

Bensberg (taz) – Dr. Heinrich Mückter, Arzt und Chemiker, hätte als Musterbeispiel einer überaus erfolgreichen Nachkriegskarriere in die deutsche Pharma- Geschichte eingehen können, hätte es nicht diesen dummen Karriereknick zu Ende der fünfziger Jahre gegeben. Er hatte bei der Firma Grünenthal in Stolberg ein angeblich garantiert harmloses Schlaf- und Beruhigungsmittel, das Thaladomid, entwickelt, das unter dem Namen Contergan auf den Markt kam.

Eine einzige Tablette während der ersten drei Schwangerschaftsmonate führte mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Behinderung der Leibesfrucht: verstümmelte Gliedmaßen, Fehlbildung innerer Organe, in einigen Fällen Gehirnschäden. Die Bundesrepublik hatte ihren ersten großen Pharma-Skandal.

1962 wurde das Mittel weltweit verboten, aber noch in den 90er Jahren gab die Forma Grünenthal das Medikament – aus, wie es hieß, humanitären Gründen und umsonst – in die Dritte Welt ab. Trotz angeblich strenger Auflagen bei der Verschreibung gab es in Brasilien seitdem 45 neue Opfer.

Dr. Mückter als medizinischem Direktor von Grünenthal und seinen Kollegen wurde seit 1968 ein sich über Jahre hinziehender Strafprozeß wegen fahrlässiger und teils vorsätzlicher Körperverletzung und Tötung gemacht. Es erwies sich, daß das Präparat nur ungenügend im Tierversuch getestet worden war, trächtige Tiere wurden überhaupt nicht geimpft. Unter dem Eindruck dieser Katastrophe und unter dem Druck der verzweifelten Eltern erließ der Bundestag das Arzneimittelschutzgesetz.

Während des Strafverfahrens gibt Dr. Mückter zu Protokoll, er sei Stabsarzt und Leiter des Instituts für Fleckfieber- und Virusforschung des Oberkommandos des Heeres (OKH) in Krakau gewesen. Niemand hakte nach. Der damalige Opferanwalt Schulte-Hillen, im Prozeß Nebenkläger, erinnert sich: „Es ist nicht nachgefragt worden. Das paßte nicht in den Prozeßstoff rein. Außerdem, es gab so viele Forschungsabteilungen ... es war eine unverfängliche Aussage.“

Dabei hätten bei dieser Personalangabe alle Allarmglocken läuten müssen. Ein Blick in Eugen Kogons damals weit verbreitetes Werk „Der SS-Staat“ hätte die Prozeßbeteiligten darüber aufklären können, daß im KZ Buchenwald Menschenversuche großen Stils zur Entwicklung eines Fleckfieber-Impfstoffs unternommen wurden. Kogon, der als Schreiber der Versuchsstation in Block 46 des KZ Buchenwald detaillierte Einblicke in die Versuchsreihen hatte, führt dort unter anderem den Weigl-Impfstoff an, der im Institut für Fleckfieber- und Virusforschung beim OKH des Heeres in Krakau hergestellt worden war und nun in Buchenwald „getestet“ wurde.

Vor dem Krieg hatte sich das Institut im Rahmen der Krakauer Universität der bakteriologischen Forschung gewidmet. Es wurde konfisziert, sein Leiter verhaftet, später in Auschwitz umgebracht. Als Dr. Mückter hier seinen Dienst antrat, war er frischgebackener Doktor der Medizin. Bald sollte er zum stellvertretenden Direktor des nunmehr „arisierten“ Instituts avancieren.

Ermittlungen seitens der Krakauer Staatsanwaltschaft unmittelbar nach Kriegsende hatten ergeben, daß Mückter die Erregerläuse zwecks Fütterung auf polnische Zwangsarbeiter ansetzte, eine schmerzhafte und manchmal tödliche Prozedur. Der in Krakau hergestellte Impfstoff wurde immer wieder in Buchenwald auf seine Wirksamkeit überprüft. Dr. Mückter konnte also gar nicht umhin, von den Buchenwalder Menschenversuchen Kenntnis zu nehmen, schließlich standen auf den Rückmeldungen die Namen der SS- Ärzte und die Adresse des Konzentrationslagers Buchenwald. Wurden Impfstoffproben auch ins nahe KZ Auschwitz zwecks „Erprobung“ gesandt? Wahrscheinlich, aber nicht erwiesen.

Gegen Dr. Mückter wurde im August 1946 von der Krakauer Staatsanwaltschaft Haftbefehl erlassen – folgenlos. Er hatte sich längst in die westlichen Besatzungszonen abgesetzt und war – angeblich mit einem kostbaren Penicillin-Stamm als Morgengabe – in die Dienste der Firma Grünenthal eingetreten. Die Warschauer „Untersuchungskommission für Verbrechen am polnischen Volk“ hat diesen Haftbefehl in ihren Akten, auch polnische Ärzte, die zur Mitarbeit an dem „arisierten“ Forschungsinstitut in Krakau gezwungen worden waren, erinnern sich Mückters als prügelnden deutschen Herrenmenschen-Arzt.

Gibt es eine Kontinuitätslinie zwischen Mückter, dem Fleckfieber-Virusforscher, und Mückter, dem Contergan-Erfinder? Eine medizinische Antwort kann nicht gegeben werden, wäre auch ohne Belang. In beiden Fällen handelt es sich vielmehr um einen Fall von Karrierismus, der um des Ruhms und des Geldes willen elementare ethische Grundsätze über Bord wirft. Mückter starb zu Beginn der 80er Jahre, die Firma Grünenthal, ob dieses Zusammenhangs befragt, verweigert heute jegliche Antwort.

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