: Wir haben uns die Erotik vergeigt
■ Fünf Frauen aus Kulturberufen diskutieren über scheinbare Freiheiten in ihrer Arbeit und die Bedeutung der Macht – nicht nur am Frauentag anno 1999
Die Aufgabe war einfach: „Ihr habt eine Seite, die Kulturseite der Frauentaz vom 8. März 1999.“ In der Moderation der taz-Mitarbeiterin Ute Schalz-Laurenze (55) trafen sich vier in Kulturberufen tätige Frauen aus zwei Generationen. Es diskutierten die durch fantasievolle Inszenierungen auch in Bremen bekannte Regisseurin Barbara Bilabel (59), die Galeristin und unermüdliche Aktivistin der Kulturinitiative „Anstoß“, Katrin Rabus (55), die Managerin der Shakespeare Company, Renate Heitmann (39), und die im Frauenkulturzentrum „belladonna“ arbeitende Journalistin Vivianne Schnurbusch (39). Die vier Frauen hätten Rezensionen, Kommentare und Kolumnen schreiben können. Doch in einem vierstündigen Gespräch der One-Day-Kulturredaktion entstand etwas anderes: eine Reflektion über Biographien, über die scheinbare Freiheit in Kulturberufen und die Bedeutung der Macht – nicht nur am Frauentag anno 1999.
Das Private – politisch
Barbara Bilabel: Ich gehörte zu dem Kreis um Rudi Dutschke, und es war wirklich so, daß wir Frauen im Republikanischen Club für die frühen Helden der 68er-Rebellion Kaffee gekocht haben: Die dachten und wir kochten. Helke Sander ohrfeigte eines Tages einen Kollegen. Während meines Bühnenbildstudiums erschien ein Interview mit mir, weil ich so hübsch aussah, mit dem Titel: „Kann eine Frau Bühnenbildnerin werden?“ Ich hatte beim Machen der Bühnenbilder zunehmend ein würgendes Gefühl, für die Ideen anderer Bilder zu machen, ich wollte Regie führen. Als ich dann mit Nils Peter Rudolph ans Schauspielhaus Hamburg ging, schwiegen wieder die Frauen. Was wir dann gemacht haben, ist ein bißchen kitschig: Wir lasen Günderrodes Briefe. Ich habe eines Tages meine gesamten Bühnenbilder ins Feuer geworfen, um für mich selbst ein Zeichen zu setzen: kein Zurück. „Medea“ von Euripides war meine erste Inszenierung.
Katrin Rabus: Frauenfragen und Feminismus, das interessiert mich nicht. Ich habe immer das getan, was ich wollte. Ich hatte schon 1960 Leitungsfunktionen in internationalen Workcamps und habe in Frankreich berufstätige Frauen erlebt. Ich wurde Lehrerin, an männlichen Verhaltensweisen stoße ich mich erst heute – das allerdings. Das habe ich mehrfach erlebt. Ich bin dann immer gegangen, wenn's nicht mehr ging.
Renate Heitmann: In meinem Elternhaus gab's in dem Sinne keine patriarchale Ordnung. Die Frauen hatten das Sagen, waren aber dennoch den Konventionen sehr ergeben. Ich wurde Zahnarzthelferin, weil der Zahnarzt ein Pferd hatte, das mein Vater mir verweigerte. Ende der Siebziger boten die Initiativen, die für andere Modelle eintraten, Platz für andere Identifikationen. Die Jugendgruppen, Anti-AKW-Gruppen, der KBW in seinen letzten Zügen – das waren Probierräume, aus dem Gewohnten heraus was anderes zu tun. Der analytische Blick auf das Geschlechterverhältnis kam bei mir im Englisch- und Kulturwissenschaftsstudium. Und da wurde der Blick darauf scharfgestellt, wieviel mehr Raum von der männlichen Seite eingenommen wird, wie oft du auf die Schnauze fällst bei deinen Versuchen, dich durchzusetzen. An der Uni war ich in einer Frauengruppe, die ganz praktisch Frauenräume geschützt hat, wie zum Beispiel die Frauentoiletten vor dem Einblick von Männern, die versucht haben, sich am Anblick von pinkelnden Frauen zu ergötzen.
Vivianne Schnurbusch: Ich bin mit einer Doppelbotschaft erzogen worden, die ich meinen Kindern ersparen möchte. Ich habe in gut bürgerlicher Tradition viel gelernt: Tennis, Reiten, Musik machen, ich hatte alle möglichen Ideen, konnte aber mit meiner Kreativität in keiner Weise umgehen. Ich eckte immer an, wollte aber nicht anecken. Mit zwanzig habe ich einen „Insulaner“ auf der schönen Insel Langeoog geheiratet. Unvorstellbar, was da von mir verlangt wurde. Die meisten Frauen dort waren damals Duckmäuserinnen und Alkoholikerinnen. Dann bin ich da abhgehauen, habe Skandinavistik, Philosophie und Publizistik studiert und die Männer immer bewundert, auch die, die von mir sagten, ich sei provokativ und absolut.
Die Macht der Macht
Ute Schalz-Laurenze: Eure Biographien zeigen ja, wie stark noch die wie auch immer geartete Erziehung auf Lebensentwürfe und Verhalten wirkt. Nicht alle Frauen haben ja die Chance, das auch so zu refklektieren. Dabei tauchen immer wieder zwei Begriffe auf, die definiert werden müssen und die zentral für Verhaltensentscheidungen sind: Flexibilität und Macht.
Bilabel: Ich stelle in Frage, ob die viel beschworene Flexibilität von Frauen etwas Positives ist. Viele Frauen wollen Frieden um jeden Preis, und die Angst, nicht geliebt zu werden, erzeugt diese Flexibilität. Wenn wir in diesem Sinne flexibel sind, sind wir nicht bereit für die Zukunft. Lebensentwürfe müssen durchgesetzt werden, egal, ob man dafür geliebt wird oder nicht. Zur Durchsetzung von Utopien braucht man einfach Macht.
Rabus: Ich bin ja der Macht immer ausgewichen, habe nur eine Arbeit gemacht, in der ich selbst entscheiden konnte. Für mich spielt das nicht so eine Rolle, für mich ist ein selbstbestimmtes Handeln wichtig. Daß ich da privilegiert bin, ist mir klar. Ich will auch da die Männer nicht raushalten, die sich auch um die Bildung der Gesellschaft bemühen. Ich kenne so viele sensible und intelligente Männer ...
Bilabel: Wir sprechen aber jetzt nicht privat, sondern wir sprechen über Gesellschaft. Und ich möchte die Männer nicht in 80 Prozent schlecht und 20 Prozent gut einteilen. Ich möchte über die männliche Seite nicht mehr nachdenken. Denn ich habe richtig Freude an der Macht. Wir müssen doch endlich über uns nachdenken und darüber, was wir behalten wollen. Und da möchte ich nicht mehr die Opferdiskussion der siebziger Jahre.
Heitmann: Für mich ist im Unterschied zu Katrin ganz wichtig, mich in einer Gruppe zu erproben, die eine gemeinsame Vision hat. Wo kann ich Menschen und Ideen binden? In unserer Company sind ja die Gründer ungefähr 50, die Jüngsten sind Ende zwanzig. Die sehen die Welt mit anderen Augen, und ich beobachte wieder diese Zurückhaltung der jungen Frauen. Es reden immer nur die Männer ...
Schnurbusch: Wir haben ja scheinbar mehr Freiheit, der Raum ist größer geworden. Aber die Fragen werden viel schwieriger, denn der Raum, von dem ich spreche, reicht natürlich nicht. Und diese Räume zu schaffen, das darf einfach nicht privat bleiben ... da müssen auch politisch Kriterien hergestellt werden. Ich muß allerdings auch sagen, wie sehr ich zum Beispiel von den Errungenschaften der Frauenbewegung profitiere. Wir haben Netzwerke, wir können uns überall informieren ... ich finde das toll.
Was wollt Ihr eigentlich?
Schalz-Laurenze: ... so wie die jungen Frauen heute sagen: „Ich weiß nicht, was Ihr wollt, es geht doch alles.“ Die Philosophin Gisela von Wysocki hat einmal gesagt: „Aus Angst vor der Armut ihrer eigenen Geschichte wird die Frau zur Komplizin des Mannes.“ Ist es so?
Schnurbusch: Jein, denn der kleine Fortschritt ist noch kein Allgemeinwissen. Neulich gab es in Berlin einen großen Kongreß zur Geschlechterfrage im 20. Jahrhundert. Da hat doch tatsächlich ein Bonner Politiker in der Eröffnung gesagt, Bildung sei ge-schlechtsneutral ...
Bilabel: So'n Quatsch.
Schalz-Laurenze: Wir haben 2.000 Jahre nicht gerade gute Frauengeschichte hinter uns. Hat das eigentlich eine Bedeutung oder Wirkung unabhängig von der individuellen Erziehung und Sozialisation?
Bilabel: Aber ganz, ganz hochprozentig. Die Geschichte hat an uns so viel zerstört ...
Rabus: Aber das stimmt doch nicht. Es hat doch große und autonome Frauen schon im Mittelalter gegeben ...
Schalz-Laurenze: ... die durften sich in einem vorgegebenen Rahmen bewegen. Wehe, wenn sie was anderes wollten. Und wo und wie sind sie dokumentiert, wenn nicht durch feministische Forschung? In keinem Fach gibt es Frau-engeschichte ...das heißt, erst seit kurzem. Und in nicht wenigen Kreisen wird das in keiner Weise ernst genommen.
Bilabel: Seit 2.000 Jahren ... frau kann nicht sagen, wir wurden unterdrückt, aber wir machen das Maul nicht auf! Ich nenne das: das beschädigte Ich.
Schalz-Laurenze: Meint Ihr denn, daß es richtig ist, eine Frauentaz zu machen?
Schnurbusch: So lange es in der taz nicht mehr Frauenthemen gibt, so lange es einfach keinen Platz dafür gibt, solange ist das nötig.
Bilabel: Ich weiß nicht. Es bringt uns wieder in die Ecke, nur einen Tag zu haben ...
Schalz-Laurenze: Ich würde gerne noch wissen, ob das Verhältnis der Geschlechter in Eurer Arbeit eine bewußte Rolle spielt und welche?
Heitmann: Ich kann das ja nicht selbst gestalten, denn ich habe als Organisatorin eine bestimmte, auch kommunikative Aufgabe. Aber ich beobachte sehr scharf, und da komme ich immer wieder an Grenzen, die dann Thema sind. Verkaufsgespräche mit Männern zum Beispiel ...
Beruf: Frauen stark machen
Rabus: Spielt keine Rolle. Die wenigen Künstlerinnen, die bei mir sind, sind da, weil sie gut sind, nicht weil sie Frauen sind. Wenn es im Galeriegeschäft um viel Geld geht, denke ich oft ironisch, es ist eine Männergesellschaft. Wenn ich mich nicht durchsetzen konnte, bin ich gegangen, aber ich habe meine Ideen weiterverfolgt und mir folgerichtig meine eigenen Instrumente für meine Arbeit geschaffen, mich dann nicht angepaßt. Ich habe immer Partner für meine Ideen gefunden, aber im Alltag arbeite ich allein. Das ist auch ein Weg und dazu möchte ich Mut machen. Ich kenne heute kaum Männer, die so frei handeln können wie ich.
Schnurbusch: Mein auch berufliches Thema ist das Starkmachen von Frauen.
Bilabel: Eine große Rolle. In meiner Arbeit interessiert mich einfach die Verlagerung einer inneren Konfliktebene in die der Darstellung. Ich liebe zum Bespiel die weibliche Hysterie, für mich die schönste und glitzernste Waffe. Männer sind so einfach und Frauen so wunderbar kompliziert. Ich find' nur schade, daß wir so wenig komische Frauen haben, uns fehlt die Ironie, auch die Großmäuligkeit. Ich wäre gern Christoph Schlingensief. Und noch was: Wir bezahlen den Kampf um einen Platz in dieser Gesellschaft mit einem teilweisen Verlust der Erotik. Das haben wir uns vergeigt. Und eine neue ist ja noch nicht in Sicht. Was ist denn überhaupt Glück? Und was ist denn Erfolg? Ist es schön, Macht zu haben? Ist es vielleicht schöner zu Hause?
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