: Wo in Bayern der Spaß aufhört
Der Liedermacher Hans Söllner verglich Bayerns Innenminister Beckstein mit einem Duftstein fürs WC. Der CSU-Mann fühlt sich in seiner Ehre verletzt. Nun soll Söllner 120.000 Mark Strafgeld zahlen ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler
Während im Müncher Polizeipräsidium die Beamten die Sau rauslassen, mit der Dienstwaffe auf dem Revier wild herumballern, Kolleginnen sexuell belästigen und in den Tod treiben, im Bordell die Puppen tanzen lassen und ganz nebenbei noch Kokain verdealen, versteht Bayerns oberster Polizist, Innenminister Günther Beckstein, überhaupt keinen Spaß mehr.
Beckstein (CSU) fühlt sich von dem Bad Reichenhaller Liedermacher Hans Söllner beleidigt und bekam dabei prompt Schützenhilfe vom Amtsgericht Kempten. Das schickte Söllner einen Strafbefehl über 120 Tagessätze à 1.000 Mark – eine stolze Summe für die verletzte Ehre des ansonsten nicht gerade zimperlichen Ministers.
„Es kam ein Vogel geflogen, und der ließ einen Haufen fallen, und aus diesem Haufen Scheiße entstand der Beckstein“, dichtete der 43jährige Söllner mehr schlecht als recht im Mai letzten Jahres auf einem Konzert im bayerischen Immenstadt. Kurz darauf gab er in Nördlingen einen Dreizeiler zum besten: „Ich habe einen Beckstein zu Hause, der hängt bei mir aber im Klo und macht das Wasser sauber.“ Das war zu einer Zeit, als landauf, landab kommunale Verwaltungsbehörden mit verbaler Unterstützung des Ministers Auftrittsverbote gegen den Barden verhängten. Mit seinem Bekenntnis zum Marihuana-Konsum geriet Söllner ins Visier der bayerischen Verfechter von Recht und Ordnung. Hausdurchsuchungen und Strafbefehle folgten.
Dabei hatte Söllner die besten Voraussetzungen, einmal ein guter, staatstragender Bajuware zu werden. Exakt am Heiligen Abend geboren, im katholischen Kindergarten in Bad Reichenhall, in der Volksschule Marzoll und im örtlichen Trachtenverein die grundlegende Sozialisation genossen, absolvierte er erfolgreich eine Lehre als Koch und später als Kfz-Mechaniker. Doch dann, nach langer Arbeits- und Wohnungslosigkeit, entschloß sich Söllner, daß der „Staat ihn am Arsch lecken“ könne, und fortan schrieb er die entsprechenden Songs.
Seit seinem ersten Auftritt 1979 in München galt er damit bei seinen Anhängern als „wuider Hund von Reichenhall“. 1986 haute er ab nach Jamaika, um sich dort bei regelmäßigem Marihuana-Genuß zu erholen. Nach seiner Rückkehr baute er auch hierzulande qualitativ hochwertigen Stoff an, setzte drei Kinder in die Welt und machte durch seine Musik klar, wer ihm alles „am Arsch“ vorbeigehe: Gauweiler und Strauß sowieso und eben auch Beckstein.
„Ich gehe meinen Weg bis zum Ende, auch wenn er durch Gerichtssäle führt“, kündigt er auf seiner Homepage unmißverständlich an.
Genau dort könnte sich Söllner nun bald wiederfinden, denn sein Münchner Anwalt hat Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, der die Existenz des umstrittenen Barden ruinieren könnte. Neben Beckstein und einer Polizistin hatte sich noch eine Amtsrichterin beleidigt gefühlt. Die hatte Söllner zu einer Geldstrafe wegen des Besitzes von 0,7 Gramm Marihuana verurteilt und wurde dafür vom Delinquenten als „blöde Sau“ tituliert.
Daß dies alles als „bayerische Art“ gewertet werden könnte, wie einstmals Ministerpräsident Max Streibl einen Prügeleinsatz gegen Demonstranten rechtfertigte, kann Söllner getrost vergessen.
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