: Tenever wehrt sich
■ Die NPD ist in Tenever unerwünscht / Ein Stadtteil bereitet sich auf den 1. Mai vor / Eine Reportage
Daß die NPD-Demonstration tatsächlich verboten bleibt, will hier in Tenever niemand so richtig glauben – wenn es auch alle hoffen. „Deutschland ohne Ausländer ist wie ein Piano ohne schwarze Tasten“ steht auf einem der vielen Transparente, die munter an den Fußgängerbrücken über der Otto-Brenner-Allee wehen. Genau hier wollen die Nazis lang, wenn sie doch ihre ursprüngliche Route genehmigt bekommen. Mitten durch Tenevers Klein-Manhattan.
An den Hochhäusern vorbei, in denen 8.000 Menschen aus mehr als 60 Nationen leben. Rund 38 Prozent der Bewohner sind Ausländer. Und die Rußlanddeutschen machen noch einmal geschätzte 30 Prozent aus. Tenever ist Multi-Kulti. Und Tenever ist sauer, daß die Nazis durch ihren Stadtteil marschieren wollen.
„Das wird der dritte Weltkrieg, wenn die kommen“, tönt ein arabischer Teenie vor dem SchulzentrumKoblenzer Straße. Und sein glodkettchenbehan-gener Kumpel sekundiert: „Wir lassen die nicht hier durch“. Am 1. Mai wollen sie in ihrem Stadtteil bleiben. Glaubt man den Worten der Jugendlichen, bereiten sie sich auf den Ausnahme-zustand vor: „An dem Tag werden alle Jugendlichen zusammenhalten: Türken, Kurden, Rußlanddeutsche – sogar die Srilankaner wollen kommen“, sagt einer in Lederjacke. Normalerweise ist das anders. Im Jugendzetrum haben Türken und Rußlanddeutsche eigene Räume, damit sie sich nicht in die Haare kommen.
Und dann behauptet einer, daß irgendwo schon 50 vorbereitete Molotov-Cocktails liegen. Daß ein Auto brennen wird. Daß Freunde aus anderen Stadtteilen kommen werden. Daß die NPDler „dumm sind, wenn sie sich tatsächlich trauen, hier durchlaufen“. In den Worten schwingt Prahlerei und Entschlossenheit mit. So ganz unwahr scheint es nicht zu sein, was sie erzählen.
Von dem Zusammenschluß der Jugendlichen hat Heiko Märkert heute morgen beim Frühstück im Schulzentrum von einem Schüler auch schon gehört. Der Sozialarbeiter arbeitet im Betreuungsprojekt „AKKU“ direkt im Schulzentrum. 800 Schüler zwischen der fünften und zehnten Klasse hat das SZ. Auch hier sind es um die 70 Prozent Ausländer. Doch anders als die starken Sprüche der älteren Jugendlichen weiß er auch von leiseren Tönen zu berichten. Daß viele Jugendlichen und Familien Angst haben werden, am Samstag vor die Tür zu gehen. Daß einige Familien komplett ihrem Stadtteil fernbleiben werden, falls die Demonstranten kommen. „Einige Jugendliche haben außerdem Angst, bei Ausschreitungen aufgegriffen zu werden – denn dann wäre in vielen Fällen die Chance auf Einbürgerung in Deutschland futsch“. Und die Jüngeren fragen, ob die Nazis ihnen vielleicht am Wochenende die Wohnungstür eintreten werden.
Im Aufenthaltsraum des AKKU sitzt eine 13jährige Türkin. Bei ihr kam die Anweisung, am Samstag zu Hause zu bleiben, von der Mutter. So ist das in vielen Familien, berichten die anderen Mädchen am Tisch. Daß sie Angst haben, geben sie zu. Daß sie die Nazis doof finden, ist selbstverständlich. Der 16jährige Achmed sitzt mit am Tisch. Er selbst ist am Samstag auf der Straße. „Mein Vater kommt mit“, sagt der besonnen wirkende Jugendliche. „Der haßt Nazis.“
Auch die Sozialarbeiter des Freizeitheims Tenever kommen um das Thema nicht herum. Vorgestern war eine von ihnen auf der Skater-Anlage. Am Montag nachmittag ist die für Mädchen reserviert, damit sie auch mal in die Halfpipe können. „Das Thema ist schon jeden Tag in den Köpfen drin“, sagt sie. Zehnjährige Mädchen fragen, was „rechts“ eigentlich bedeutet. Ob man an dem Tag sicher auf die Straße gehen kann. „Wir versuchen, die Kinder mit ihrer Angst ernst zu nehmen“, sagt sie. Doch ihre Kollegin ist eher ratlos. „Ich weiß nicht, was ich den Mädchen auf ihre Fragen antworten soll. Die haben bei mir doch auch Hilfe gesucht.“
Die Fäden für den friedlichen Protest im Stadtteil laufen im Arbeitslosen-Zentrum Tenever zusammen. Gerade ist Lagebesprechung. Die Vorbereitungen für das Konzert auf dem Abenteuerspielplatz Pfälzer Weg laufen auf Hochtouren. „Konzert für Vielfalt statt Einfalt“ ist auf Plakaten überall in Tenever zu lesen. „Komm und mach mit – gegen Nazis“. Michaela Dinkel und Silvia Suchopar berichten von der Schwierigkeit, Veranstaltungs-Plakate in türkischen Geschäften aufzuhängen. „Die Besitzer haben oft Angst, daß ihnen am Samstag die Scheiben eingeschlagen werden.“
Die Konzert-Veranstalter des Arbeitskreises Tenever setzen auf laute berbische Tanzmusik und eine Punk-Band, die bis zur Demonstrationsroute der NPD zu hören sein soll. Eine weitere Band wird noch gesucht. Ein Plastikhaus wird noch gesucht, um die Technik vor der Witterung zu schützen. Auch die Mahnwachen gegen den NPD-Aufmarsch, die seit Anfang der Woche zweimal am Tag stattfinden, müssen organisiert werden.
Dinkel und Suchopar haben – wie viele andere im Arbeitslosenzentrum – die letzte Woche nur für die Vorbereitung des 1. Mai geschuftet. An einem dieser Morgende ist Dinkel aufgewacht, hat im Halbschlaf zum Telefon gegriffen und Silvia angerufen. Hat ihr irgendwas erzählt von wegen Katastrophe beim Festival. Und hat erst ganz langsam gemerkt, daß sie noch in ihrem Traum hängt.
Helga Wienke ist 67 Jahre alt und rollt eine dieser Einkaufsta-schen hinter sich her. Seit 13 Jahren wohnt sie jetzt in Tenever und fühlt sich wohl. „Aber für uns Deutsche ist es einsam geworden, hier“, sagt sie. Daß die NPD diese Einsamkeit am Samstag bricht, danach hat Wienke kein Bedarf. Aber daß die NPD-Demonstration im Stadtteil nur auf Ablehnung stößt, glaubt sie nicht. „Die NPD-Sympatisanten werden sich jetzt nicht zu erkennen geben – denn dann gibt's Kontra“. Eine Gruppe von türkischen Fünftklässlern kommt vorbei und bleibt neben der Interviewten stehen. „Und, was machst Du am Samstag“, fragt die alte Frau einen Knirps liebevoll. „Gegen Nazis sein“, sagt der. Christoph Dowe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen