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Joschka Fischers Spielräume

Mit der Außenpolitik hat sich der Grüne Joschka Fischer eine neue Welt erobert, in der er das Leben eines angesehenen Politikers führt. Dabei hat er die Basis seiner Partei aus dem Auge verloren, die dieses Ansehen weder teilen will noch kann  ■ Aus Bonn Dieter Rulff

Natürlich kennt Joschka Fischer Frank Koslowski nicht oder bestenfalls aus flüchtigen Erzählungen. Wie sonst könnte er den Wunsch dahinseufzen, zum besseren gegenseitigen Verständnis einmal die Basis seiner Partei mitnehmen zu wollen auf eine seiner Reisen zu den viel zu häufigen Nato-Treffen, die er in den letzten Wochen zu absolvieren hatte. Es sei, so sinniert der Bundesaußenminister, eine Erfahrungswelt, die man schwer vermitteln könne. Frank Koslowski würde ihm gewiß sofort recht geben.

Ja, er würde Fischer vermutlich sagen, daß er auf diese Erfahrung gut und gerne verzichten könne, denn mit der Nato habe er nichts am Hut. Mehr noch, ihr Tun in Jugoslawien sei schädlich für ein friedliches Zusammenleben in Europa. Deshalb hat Frank Koslowski zusammen mit seinem Kreisverband Berlin-Spandau, dem er seit Gründungszeiten der Grünen angehört, den Antrag an den kommenden Parteitag der Grünen gestellt, der Bundesaußenminister habe sich „nachhaltig und überprüfbar für die umgehende und bedingungslose Einstellung der Kampfhandlungen seitens der Nato einzusetzen“. Solle Fischer dazu nicht bereit sein, so werde er zum Rücktritt aufgefordert.

Frank Koslowski, deshalb wird er an dieser Stelle pars pro toto erwähnt, entspricht in Outfit und Einstellung dem nachhaltigen Bild, welches man sich gerne von den Grünen macht, wenn von der Basis die Rede ist. Joschka Fischer würde ihn und all die anderen Grünen, die in den letzten Wochen harsche Anträge und wütende Briefe gegen ihn und seine Politik vorgebracht haben, in eine Welt mitnehmen, in der er sich selbst manchmal noch vorkommt wie weiland Alice im Wunderland. „Wer hätte das gedacht, daß ich meinen 51. Geburtstag auf einer Tagung der Nato-Außenminister zu einem Kampfeinsatz verbringe.“

Doch solcherlei kokette Verwunderung blitzt nur noch gelegentlich auf. Denn die Nato und die G 8, die EU und die UN, das ist mittlerweile eine Welt, in der Fischer sich, soweit das Wort in solchen Zusammenhängen angebracht ist, heimisch fühlt. Und wenn man ihn andererseits auf die Probleme seiner Partei anspricht, so bekennt er, daß ihm die Kraft fehle, das ranzulassen. Joschka, so sagt es die verteidigungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Angelika Beer, fehle ein Bild von den Grünen.

Fischer ist übernächtigt, sitzt zusammengesunken in dem schweren, schwarzen Ledersessel der Bundestagslobby und reißt ab und an die Augenbrauen hoch, um die Oberlider am runterklappen zu hindern. Gut, meint er, gut geht es keinem von uns.

Dabei hat Joschka Fischer eigentlich an diesem Freitag nachmittag allen Grund zur Freude. Tags zuvor wurde die Einigung der G-8-Außenminister auf Basis eines Friedensplanes gefunden, der seinen Namen trägt. In „Tagesschau“ und „Heute“ hat der Bundeskanzler Gerhard Schröder – den kommenden Parteitag der Grünen im Blick – die besondere Rolle seines Außenministers beim Zustandekommen der Einigung gewürdigt. Der wehrt Erkundigungen nach der Freude ob der Lobgesänge mit dem Verweis auf die „viele Arbeit vor uns“ ab. In Gefühlsfragen gibt sich der Bundesaußenminister noch dezenter als in Kleiderfragen. Es ist allerdings nicht so, daß er den Zuspruch nicht brauchte. „Joschka will geliebt werden“, versichern weibliche Abgeordnete aus vieljähriger Erfahrung heraus. Auch der Umstand, daß ihn die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright nach dem G-8-Gipfel mit besonderem Lob bedacht haben soll, ließ ihn erst ruhen, als er darüber Gewißheit hatte.

Andererseits heißt es aus Fischers Umfeld, er sei in den letzten Wochen häufiger gereizt, zeige manchmal Nerven. Es trifft ihn, wenn er, auch in der eigenen Partei, als Kriegstreiber oder Kriegsminister dargestellt wird, wenn mit seinen persönlichen Ambitionen begründet wird, daß die Grünen das Außenministerium bekommen haben. Natürlich fragt er sich, welches Schicksal ausgerechnet der ersten rot-grünen Bundesregierung den ersten Kriegseinsatz der Bundesrepublik Deutschland beschieden hat. Doch an der Notwendigkeit dieses Einsatzes läßt er keinen Zweifel.

Noch weniger Zweifel läßt er daran, daß es gerade deshalb richtig war, das Außenministerium zu besetzen. „Es gibt keine grüne Außenpolitik, es gibt nur eine deutsche.“ Dieser Satz aus dem Beginn seiner Amtzeit ist mehr als nur eine kokette Anlehnung an den Spruch, mit dem Gerhard Schröder seine Sozialdemokratie malträtierte. Nach dieser Devise gab Fischer seinem Amt Sicherheit, indem er nur mit einem kleinen Kader von Parteigängern einrückte.

Zwar wird in seiner Fraktion moniert, daß er sich die Loyalität des Amtes erkauft habe, indem er sich mit zuviel konventionellem Amtswissen umgebe. Doch können auch die Kritiker nur wenige Fälle von amtsinterner Renitenz gegen den neuen Kurs benennen. Vor allem die zweite Reihe im Haus freut sich darüber, daß Fischer nicht, wie sein Vorgänger Klaus Kinkel, die öffentliche Darstellung der Politik alleine bestreiten will, daß er dem Amt größere Spielräume läßt.

Sich nach außen absolut loyal zeigen und dadurch intern Handlungsspielräume erarbeiten – nach dieser Devise ist Fischer auch in der Nato vorgegangen. Deshalb beschwört er, der Grüne, die Bündnistreue, wenngleich sie für ihn keine Frage der politischen Identität ist. Er trägt mit, daß eine neue Nato-Doktrin beschlossen wird, die das Einsatzgebiet ausweitet und Einsätze nicht mehr zwingend an ein UN-Mandat koppelt. Wenn in Partei und Fraktion kritisiert wird, er setze nicht offensiv genug grüne Vorstellungen durch, dann verweist er auf die konstitutive Rolle der Westbindung für die deutsche Demokratie und darauf, daß nationale Sonderwege keinesfalls gegangen werden dürften. Das hat bei ihm auch schon mal anders geklungen.

Gerade mal fünf Jahre ist es her, daß er schrieb, Deutschland sei gut beraten, keine militärisch gestützte Außenpolitik zu betreiben. Es sei auch ohne Out-of-area-Einsätze voll bündnisfähig und allseits geachtetes Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft und würde dies auch unter Rot-Grün bleiben. Zwischen diesen Worten und seinen jetzigen Taten lag Srebrenica. Das Massaker in der bosnischen UN-Enklave veranlaßte ihn im Juni 95, eine neue Bewertung grüner Außenpolitik zu fordern, die den Einsatz von Gewalt nicht mehr ausschließe.

Seinerzeit koppelte Fischer die Anwendung der Gewalt an die Legitimation durch die UN. Und bei aller donnernden Rhetorik weiß er um den Makel, der dem Kosovo-Einsatz wegen des Fehlens dieser Legitimation anhaftet. Ihn zu entfernen, eröffnet er die Debatte um ein Weltbürgerrecht, verlangt die Koppelung des Vetos im Sicherheitsrat an inhaltliche Kriterien. Das klingt vage, wirft zunächst mehr Fragen auf, als es Antworten zu geben vermag. Doch es gibt eine Richtung vor, in der wieder eine Unterscheidung zwischen hegemonialer Interessenpolitik und normativ legitimierter Ordnungspolitik gefunden werden kann, ohne daß lediglich die gute Absicht der Akteure der Garant dafür ist. Der Soziologe Ulrich Beck nannte Fischer das Beispiel eines Politikers des Weltbürgertums und setzte ihn dabei von der unilateralen, manchmal imperialen Logik ab, mit der die USA im Kleide des Weltbürgerinteresses ihre nationale Politik global betreiben.

Fischers Rekurs auf Legitimationen, die im Wertekanon der politischen Linken fußen, macht es seinen Gegnern auch in den eigenen Reihen schwer, ihn zu attakkieren. Er attackiert seinerseits jene erbarmungslos, die ihm von einer vermeintlich moralisch höheren Warte aus diese Wertebindung absprechen wollen. Der PDS-Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi bekam das mehrfach zu spüren. Fischer käme nicht so schnell wie sein Vorgänger Klaus Kinkel in den Verdacht, hehre moralische Positionen für schnöde nationale, respektive wirtschaftliche Interessen preiszugeben.

Doch neigt er dazu, die Moral seines Tuns in dem Maße zu überhöhen, in dem dieses fragwürdiger wird. Das brachte ihn zu Vergleichen mit Auschwitz, als er die Fortführung der Luftangriffe rechtfertigen mußte. Auch weil diese nun wieder auf einer anderen Begründung ruhen können, macht sich Erleichterung über die Einigung der G-8-Außenminister breit.

Es sei, sagt die Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer, auch mit Blick auf ihre Partei, höchste Eisenbahn gewesen. Die Spannung sei von Nacht zu Nacht, die die Luftangriffe andauerten, unerträglich gestiegen. Joschka Fischer spricht von schlimmen Wochen, die er hinter sich habe. Den Wochen, als zwischen dem Krieg der Serben am Boden und dem der Nato in der Luft eine Lükke klaffte und politische Initiativen im Bündnis nicht durchkamen. Er sei von Anfang an zuversichtlich gewesen, daß seine Initiative sich durchsetzen würde, denn sie habe in der Umsetzungslogik von Rambouillet gelegen. Tatsächlich lag die Schwierigkeit wohl weniger in der Entwicklung des Planes als in seiner Durchsetzung.

Das Gewichtsverhältnis zwischen sich und Albright, zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Nato-Partner bemißt Fischer in Kampfflugzeugen. Vier zu vierhundert. Auch wenn er persönlich mittlerweile in dieser Rechnung ein paar Kampfbomber wettmacht, verschafft ihm das nicht mehr Gewicht bei den Pazifisten in seiner Partei. Der linke Flügelmann Christian Ströbele erkennt Fischers Friedensplan an, hält aber an einem sofortigen einseitigen Stopp der Luftangriffe fest. Der Parteivorstand fordert gleichfalls eine Einstellung der Angriffe, und selbst in der Fraktion werden die Absetzbewegungen heftiger. Kaum einer will sich für die Kosovo-Politik der Bundesregierung in seinem Kreisverband prügeln lassen. Natürlich weiß Fischer Gründe, weshalb er „bei aller notwendigen Verzweiflung“ gerne in der Partei sei, doch klafft zwischen seiner Politik und großen Teilen der Basis ein für die Partei existenzbedrohendes Loch.

Die Partei hat sich jahrelang nicht mit Außenpolitik beschäftigt, die Programmatik blieb nahezu unverändert. Angelika Beer sagt, Fischer gebe sich Profil, aber nicht mehr den Grünen. Die Partei profitiere nicht mehr von seinem öffentlichen Renommee. Der Bundesvorstand formuliert einen Formelkompromiß, mit dem das Loch überbrückt werden soll. Wenn die Partei einen Austritt aus der Nato erzwingt, dann ist die Brücke für Fischer zu kurz. „Und wenn es auf einen sofortigen Stopp der Luftangriffe hinausläuft?“

„Schau'n mer mal ...“, sagt der Außenminister und will den keimenden Gedanken gleich verscheuchen. Es wäre doch absurd, eine Koalition zu beenden, die unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte mehr bringe als andere. Ob er sich denn schon Gedanken gemacht habe, was er mache, wenn er keine ausreichende Zustimmung erhalte? Ja, aber die sage er nicht. Daß er dann zur SPD wechseln könnte, hält jemand der ihn gut kennt, für unwahrscheinlich. Aber was macht er dann? Am Wochenende fahre er erst einmal nach Makedonien, dann stehe Anfang der Woche die Präsidentschaft der WEU an und dann der Parteitag und vielleicht habe er dann ja Zeit fürs Privatleben. Immerhin sei er verheiratet und bekomme bislang nichts davon mit.

Sich nach außen absolut loyal zeigen und dadurch intern Handlungsspielräume erarbeiten, das ist Fischers Devise. Das Problem ist, daß der Außenminister Fischer sich selbst Profil gibt, aber nicht mehr seiner Partei, den Grünen

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