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Tollkühne Bonner auf ihren rasenden Mopeds

Stell dir vor, es ist Regierungsumzug, und keiner merkt es. Damit diese Vorstellung keine Wirklichkeit wird, fuhren am Wochenende 72 Motorradfahrer von Bonn in die Bundeshauptstadt Berlin. Mit dabei: FDP-Bundestagsvizepräsident Otto Solms, zahlreiche Sponsoren und  ■   Sebastian Sedlmayr

Die Sonne scheint auf das schwarze Leder der Motorradkombis, die Maschinen knattern sanft vor sich hin. 72 heiße Öfen warten vor dem kühlen Bau des Bonner Bundestags auf den Startschuß für eine ungewöhnliche Tour: „Bundestag zieht mit Motorrädern um nach Berlin – zweitägige symbolische Freundschaftsfahrt in acht Etappen“, so lautete die vollmundige Ankündigung.

Ein bißchen Enttäuschung schwingt mit, als Andreas Kimmel, Mitarbeiter im Bundestag und Organisator der Aktion, bekennen muß: „Peter Struck tut es sehr leid, nicht dabeizusein.“ Struck ist in Albanien – auch kein Vergnügen. Als einziger Prominenter bleibt schließlich der FDP-Vizepräsident des Bundestags, Otto Solms, übrig, seit 41 Jahren Motorradfahrer. Als erster passiert er die gelbe Rampe, die der ADAC errichtet hat. Vorher darf Solms noch eine kurze Rede halten: „Wir scheiden mit Wehmut aus Bonn, freuen uns aber darauf, in Berlin anzukommen. Recht herzlich bedanken möchte ich mich beim ADAC, bei BMW, Shell und der Steigenberger-Hotelkette.“

Dann geht es los. Das Wetter spielt noch mit, als endlich alle in Haiger-Sechshelden zum ersten Mal halten. Die Zeit drängt. Friedhelm Julius Beucher, Vorsitzender des Sportausschusses, bittet darum, „schnell zu essen“. Solms: „Wir danken dem ADAC, BMW, Shell und der Steigenberger-Hotelkette.“ Ich frage eine Passantin, ob Haiger für irgendwas berühmt sei. „Ja, für die schlechte Wohnqualität zwischen Eisen- und Autobahn.“ Wir brechen auf. Kurz vor Bad Hersfeld lassen wir die Gemeinde „Machtlos“ links liegen. Keine Zeit für Umwege. „Die Bad Hersfelder sind froh und stolz, daß der Bundestag auf dem Weg nach Berlin vorbeischaut“, sagt Bürgermeister Hartmut Boehmer. Der Bundestag? Habe ich da was verpaßt? Solms: „Wir danken dem ADAC ...“ Ich lese noch einmal die Pressemitteilung. „Bei den Zwischenstops stehen Kontakte mit Bürgern im Vordergrund.“

Ab Eisenach begleiten uns zwei Polizeiwagen, und mehrere Motorräder schirmen uns vor allen Widrigkeiten des normalen Straßenlebens ab. In Erfurt schließt sich das schwere Eisentor der Thüringischen Staatskanzlei hinter dem letzten Teilnehmer. Ein Polizist fragt mich: „Gehören Sie auch dazu?“ Er kann mich nicht identifizieren, weil ich keinen Helm trage. Solms hält eine kurze Rede: „Wir danken ...“ Ich versuche ein Gespräch über den tatsächlichen Umzug von Bonn nach Berlin zu beginnen. „Zuerst war ich skeptisch, jetzt freue ich mich auf Berlin“, bekennt Friedhelm Schäfer, Koordinator der SPD-Abgeordneten des NRW-Landtags. Ich erinnere mich an die Formel von Otto Solms: „Wir scheiden mit Wehmut ...“

Abends im Jenaer Hotel – sponsored by Steigenberger – steht ein dunkelhaariger Mann an der Rezeption. Es ist der albanische Vizebotschafter Bushati Sokol. Am nächsten Morgen frage ich ihn, ob er viele Leute kennengelernt hat. „Jeder ist irgendwie mit seinen eigenen Problemen beschäftigt“, sagt er.

Die Truppe bricht auf, die Wetterlage verschlechtert sich. Für Gera und Leipzig bleiben zehn Minuten.Wir fahren jetzt nur noch in Polizeibegleitung. Es gibt keine Verkehrsregeln mehr. Ein wütender Fußgänger schlägt dem Begleit-BMW in Leipzig aufs Dach. Was tun? Ignorieren. In Potsdam letzter Stopp. „Langsam wird es Zeit anzukommen“, sagt eine der 19 Frauen. Doch wir müssen eine halbe Stunde warten. „Die Berliner Polizei ist noch nicht bereit, und wir wären sonst zu früh am Reichstag“, sagt Organisator Andreas Kimmel. Er hat schon im Vorfeld eine „generalstabsmäßige Planung“ angemahnt. Die Berliner Polizei hilft dabei gerne, sperrt für uns den Verkehr auf der B 1 von Potsdam bis zum Reichstag. „Ick dachte, Kennedy kommt“, sagt eine ältere Frau. Doch Kennedy ist nicht dabei, als die 72 Motorräder über die Berliner ADAC-Rampe fahren. Walter Momper empfängt die erschöpften Bonner und spricht von einem „Zeichen der Verbundenheit“. Otto Solms dankt dem ADAC, BMW, Shell und der Steigenberger-Hotelkette. „Wie war's?“ frage ich herum. „Spitze.“ „Ein tolles Gefühl.“ „Super.“ Für die meisten Teilnehmer war die Fahrt einmalig – sie ziehen gar nicht nach Berlin.

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