: Das Schweigen der Hools
Kaum ein Zeuge traut sich im Essener Hooligan-Prozeß gegen die vier Angeklagten auszusagen, die bei der WM den Gendarm Daniel Nivel zum Krüppel geprügelt haben sollen ■ Von Gisa Funck
Essen (taz) – Die Tat ist ungeheuerlich, doch die Mauer des Schweigens um sie wird immer dicker. Diesen Eindruck gewinnt man als Beobachter des sogenannten „Hooligan-Prozesses“ im Essener Landgericht. „Es ist schon frustrierend, wenn Zeugen weitaus mehr wissen, als sie hier sagen“, sprach Nebenkläger Harald Wostry am vergangenen Mittwoch nach dem zehnten Verhandlungstag vielen aus dem Herzen. „Da funktionieren bestimmte Kanäle ganz gut“, glaubt der Anwalt, der den französischen Gendarm Daniel Nivel vertritt, der während der WM im letzten Juni von deutschen Fußballfans zum Krüppel geprügelt wurde.
Mit „Kanäle“ meint Wostry die Kommunikation innerhalb der hiesigen Hooliganszene, die sich offenbar einem höchst fragwürdigen Gruppenkodex verpflichtet fühlt. Oberstes Gebot: Hauptsache, du verpfeifst deinen Kumpel nicht. Entsprechend verweigern die vorgeladenen Fußballfans in Essen entweder die Aussage, oder sie schrecken auch vor plattesten Ausreden nicht zurück, um die vier Angeklagten zu schützen.
Da sprach ein Augenzeuge beispielsweise davon, seine Brille am Tatort vergessen zu haben, so daß er nichts und niemanden mehr klar habe erkennen können. Zwei weitere Szenekumpanen gaben am Mittwoch wortgleich nur „ungenaue Erinnerungen“ zu Protokoll, so, als hätten sie sich gegenseitig abgesprochen. Hinter ihnen, zur sichtbaren Mahnung, saßen andere Hooligans im Zuschauerraum.
Folglich vermutet auch Staatsanwalt Joachim Lichtinghagen, „daß es da Absprachen gibt, daß da Einschüchterungsversuche stattfinden“. Die Anklage steht damit vor einem juristischen Dilemma: Sie verfügt zwar über Zeugen und sogar Fotos, die ein detailliertes Bild des Tathergangs in Lens abgeben. Allein, es wird schwer werden, den Beschuldigten Tobias Reifschläger, Christopher Rauch, Andre Zawacki und Frank Renger eine Beteiligung nachzuweisen. „Die wußten ja schon Monate vor dem Prozeß, mit welchen Fotos und welchen Fragen wir sie konfrontieren würden. Da hatten sie viel Zeit, sich mit ihren Verteidigern ausgeklügelte Antworten zu überlegen“, bilanziert Nebenkläger Wostry bitter.
Der Einfallsreichtum ist in der Tat verblüffend, mit dem die Angeklagten belastende Aussagen und aggressive Fotoszenen in angebliche „Harmlosigkeit“ ummünzen. Auf einem Bild ist beispielsweise zu sehen, wie Reifschläger seinen Fuß gerade gegen den am Boden liegenden Nivel erhebt. Der Hamburger Hooligan selbst aber stufte seine Fußbewegung denkbar ungefährlich ein. Da sei er „über den Polizisten hinweggesprungen“, erklärte der 24jährige Bürokaufmann lapidar. Lediglich zwei Tritte gegen Nivels Rükken und Beine gestand er ein. Zu denen, so der junge Mann stokkend, habe er sich „hinreißen“ lassen. Sein Nebenmann auf der Anklagebank, der 31jährige Frank Renger, gefiel sich bei seinem Teilgeständnis ebenfalls in der Rolle des Zufallstäters. Eigentlich, lamentierte der eingefleischte Schalke-Fan, habe er gar nicht nach Lens zum WM-Länderspiel Deutschland–Jugoslawien fahren wollen, sondern wäre zunächst lieber mit der Ehefrau Grillen gegangen. Doch dann habe auch er sich „mitreißen lassen“: erst dazu, gen Frankreich zu düsen – dann dazu, dem bewußtlosen Nivel mitten ins Gesicht zu treten.
Während die beiden anderen mutmaßlichen Schläger Zawacki und Rauch sich bislang ausschwiegen, zeigte auch der als Haupttäter in Frankreich inhaftierte Markus Warnecke letzte Woche einen bemerkenswerten Sinn für Fantasie. Laut Beobachtern soll der bullige Tätowierer aus Hannover mit einem Holzschild gegen Nivel angerannt sein, so daß dieser betäubt zu Boden ging. Warnecke allerdings behauptete im Beisein seines Anwalts Eberhard Nicolai, er habe das 1,50 Meter hohe Brett lediglich als Schutzschild benutzt. „Die Polizisten waren schwer bewaffnet“, erklärte der 28jährige ehemalige „Bones“-Rocker, der bereits mehrfach wegen Körperverletzung vorbestraft ist. Deshalb habe er sich nach dem Motto „Augen zu und durch“ das Brett vor das Gesicht gehalten und sei – quasi blind – 50 bis 60 Meter weitergelaufen. Dabei, so Warnecke, sei er dann „ziemlich heftig“ mit dem Polizisten zusammengeprallt, das Schild sei zersplittert.
„Haben Sie sich denn nicht umgeschaut, wen Sie da umgerannt haben?“ warf der Vorsitzende Richter Rudolf Esders kopfschüttelnd ein. „Nur kurz“, brummte Warnecke, „ich wollte mich nur aus der Affäre halten.“ In Lens soll er im Blutrausch gerufen haben: „Nur ein toter Gendarm ist ein guter Gendarm!“ Aber daran mag oder kann sich der ehemalige Student für Bauingenieurswesen ebensowenig erinnern wie an einen der vier Angeklagten.
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