: Keine Ehre für Erdbeerbrücke
■ CDU will Karl Castens mit der Umbenennung der Erdbeerbrücke ehren / Der Bundespräsident, der lieber wanderte als über seine NS-Geschichte aufzuklären
Kein Stadtplan kennt den Namen „Erdbeerbrücke“, und kaum jemand kennt den Namen, der in den Stadtplänen für die Erdbeerbrücke verzeichnet ist. Am Freitag will Bremens Bürgermeister Hartmut Perschau den unbekannten Brückennamen im Stadtplan gegen den von Karl Carstens austauschen und damit den früheren Bundespräsidenten ehren.
Was soll da geehrt werden? Von Carstens weiß man heute gerade noch, daß es Streit um seine NS-Geschichte gab, und er, wie er einen Biograf schreiben ließ, „nicht das Bedürfnis hatte, diesen Lebensabschnitt der Öffentlichkeit auszubreiten“. Der Spiegel-Redakteur Klaus Pokatzky schrieb als 25jähriger zur Carstens-Wahl 1979: „Sie als Repräsentant der Bundesrepublik wären der Gipfel der Nazi-Verdrängungskunst, die dieses Volk in den letzten drei Jahrzehnten sich und der darob staunenden Welt vorgeführt hat.“ Carstens wanderte lieber quer durch Westdeutschland, als an seiner Person der Nation die Bewältigung der Nazi-Vergangenheit vorzuleben, und kam zu der Erkenntnis: „Es war überall sehr schön.“ Bremens derzeitiger Bürgermeister Henning Scherf beschimpfte damals Carstens und den konservativen Gesinnungsgenossen Richard Stücklen als „Gang“.
Die Entnazifizierungskammer stufte Carstens zunächst als „Mitläufer“ ein, gab ihm später den begehrten Stempel „Entlastet“. Carstens, Absolvent des Alten Gymnasiums in Bremen, hatte 1935 als Jurastudent seine Entlassung aus der SA beantragt. Daraufhin strich ihm die Bremer Landesschulbehörde das Stipendium. 1937 stellte Carstens einen Aufnahmeantrag in die NSDAP, weil er als Jurist unter den Nazis Karriere machen wollte. Er konnte es aber erreichen, daß sein Aufnahmeantrag zu den Akten gelet wurde, weil die NSDAP sich vor Opportunisten nicht retten konnte und daher einen Aufnahmestopp verhängt hatte. Er war am 9. November 1938 in Bremen, erfuhr aus erster Hand von dem Hausarzt seiner Familie, wie brutal die SA ein jüdisches Altenheim angesteckt hatte, scheint sich damals aber vorsichtshalber nicht weiter dafür interessiert zu haben: Über die Geschehnisse der Reichspogromnacht in Bremen habe er „erst weit später, nach dem zweiten Welrkrieg erfahren“, behauptete er 1993. In die NSDAP wurde Carstens 1940 aufgenommen. Da er seit 1939 als Soldat der Wehrmacht Karriere machte, ruhte die Mitgliedschaft praktisch. Im Dezember 1944 heiratete er in Uniform. Carstens trat nie aus der NSDAP aus – 1945 endete die Mitgliedschaft mit der Niederlage des Deutschen Reiches.
Auf den wenigen Seiten, die sich seine dicke Autobiografie der NS-Zeit widmet, dominieren die gewöhnlichen Landsergeschichten. Stolz erwähnt er, daß er 1944 als Anwalt einen Mann verteidigte, der homosexuell war und wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt werden sollte. „Es war eine schreckliche Situation, in der die schaurigen Züge der Zeit deutlich hervortraten“, schwadroniert Carstens fünfzig Jahre danach.
Carstens war unter Bürgermeister Kaisen Bremens Bevollmächtigter in Bonn gewesen. Später hat er sich in die bremische Politik noch einmal eingemischt, als „sein“ Altes Gymnasium geschlossen werden sollte. Hans Koschnick hatte ihm die Zusage gegeben, daß das „AG“ erhalten bleibt. „Wir lebten in einer anderen Welt, der Welt der Kunst, der Literatur, der Geschichte und der Kultur der Antike“, schreibt Carstens rückblickend. Sein Vater war im Ersten Weltkrieg in Oise in Frankreich gefallen. Die Mutter, berichtete er, habe sich nie mit der Formel anfreunden können, sie habe ihren Mann „auf dem Felde der Ehre“ verloren. Carstens Beziehung zur Wehrmacht war durch den frühen Tod des Vaters aber in keinster Weise getrübt. Als er 1992 starb, nannte ihn Bremens Bürgermeister einen „großen Sohn unserer Stadt“. K.W.
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