piwik no script img

Der Bruch liegt auf dem Tisch

Abschiebungen: Rot-grünes Krisengespräch nach heftiger Debatte  ■ Von Sven-Michael Veit

Die Szene offenbarte, daß in der rot-grünen Koalition die Nerven blank liegen: „Habe ich Sie eben richtig verstanden“, lautete die Zwischenfrage der GAL-Fraktionschefin Antje Möller an SPD-Innensenator Hartmuth Wrocklage: „Das Papier ihrer Behörde zur beschleunigten Abschiebung von Ausländern ist nicht vom Tisch?“ In diesem Papier wird unter anderem vorgeschlagen, suizidgefährdete Asylbewerber in Begleitung von Ärzten abzuschieben.

Das sei zutreffend, antwortete Wrocklage in der Bürgerschaftsdebatte am Mittwoch abend. Es werde allerdings „nicht umgesetzt“, sondern habe zu einer Diskussion geführt, die er „für notwendig“ erachte. Antje Möller stand einen Augenblick fassungslos vor dem Saalmikrophon, und die GAL-Fraktion erstarrte.

Wenige Minuten zuvor hatte Möller mit dezenten Worten, aber unüberhörbar die grüne Schmerzgrenze formuliert. Wenn das umstrittene Innenbehörden-Papier faktisch gelte, „brauchen wir über diese Koalition nicht mehr reden“. Ein Signal, das den SPD-Fraktionsvorsitzenden Holger Christier aufschreckte: „Bauen Sie keinen Popanz auf“, bat er die Grünen, man sei doch „weiterhin im Gespräch miteinander in der Koalition“.

„Ich werde Ihnen nachweisen, Frau Möller, daß Sie mir vertrauen können“, hatte Wrocklage der GAL-Fraktionschefin zugerufen, als diese mit versteinertem Gesicht wieder zu ihrem Sitz ging und fast flehentlich hinzugefügt: „Lassen Sie uns unsere konstruktiven Gespräche fortsetzen.“ Am späten Abend hatten GAL und SPD gestern Gelegenheit dazu. Zu nächtlicher Stunde wollten sich die Spitzen beider Parteien mit dem Innensenator zu einem Krisengespräch treffen, um die Richtlinien der Hamburger Abschiebepolitik festzulegen. Was dabei herauskommen könnte, mochte niemand vorhersagen.

Möller hatte in der Parlamentsdebatte am Mittwoch abend keinen Zweifel an der grünen Ansicht gelassen, „daß die Ausländerbehörde in einem Erklärungsnotstand ist“. Ihr müsse klargemacht werden, daß „sie sich an politische Vorgaben zu halten hat“. Sollte die Behörde dies nicht akzeptieren, „müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden.“ Alle im Parlament wußten, daß Möller damit die Absetzung des Chefs der Ausländerbehörde, Ralph Bornhöft, meinte.

Nur mit dem verhandlungstaktischen Hinweis auf die laufenden Gespräche in der Koalition hatte Möller das grüne Nein zu einem Regenbogen-Antrag begründet, den SPD und CDU ohnehin ablehnten. Der hatte unter anderem hohe Hürden für die Abschiebung erkrankter AusländerInnen, ein humanes und gewaltfreies Vorgehen bei Abschiebungen und die prinzipielle Nicht-Abschiebung einzelner Familienmitglieder gefordert. Alles Punkte, die inhaltich auf der Linie liegen, welche die GAL in der rot-grünen Koalition und gegen die Innenbehörde durchsetzen möchte. Gestern war die Nacht eines erneuten Versuches.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen