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Ilka Schröder will nicht nur Youngster sein

Bis vor kurzem studierte die 21jährige Grüne. Jetzt ist sie die jüngste Europaabgeordnete aller Zeiten  ■   Aus Straßburg Markus Grill

Straßburg (taz) – Erst vor einer Viertelstunde hat Ilka Schröder ihr neues Abgeordnetenbüro in Straßburg bezogen – und sitzt schon da wie eine Routinierte. Mit der BBC vereinbart sie auf englisch ein Interview, nebenbei blättert sie in ihrem „Friedenskalender 99“. Auch für zwei französische Zeitungen, einen kurdischen Fernsehsender und italienische Medien muß sie noch freie Termine finden. 50 Presseanfragen in der Eröffnungswoche des Europaparlaments – die jüngste Abgeordnete in Straßburg ist in den ersten Tagen mehr gefragt als viele andere Parlamentarier das ganze Jahr über.

Ihr grüner Tourenrucksack ist noch gar nicht ausgepackt, die Dr.-Martens-Schuhe stehen neben dem Fax-Karton. Ilka Schröder sitzt in weißen Socken am wuchtigen Schreibtisch. Die kleine Frau amüsiert sich. Selbst die Möbel haben hier eine Hierarchie: Die Stühle der Abgeordneten haben Armlehnen, die für Mitarbeiter nicht.

Gerade mal 21 Jahre alt ist die quirlige Berlinerin. Sie paßt nicht so recht in ein Europaparlament, in dem Politoldies wie Hans Modrow und Jean-Marie LePen von ihren Parteien Versorgungsposten bekommen haben. Zwischen den grauen Anzügen fällt sie mit ihrem karierten Hemd, der lila Cordweste und den kurzen Strubbelhaaren aus dem Rahmen. Doch wenn sie anfängt zu reden, ist sie weder die blauäugige Studentin und schon gar nicht die freche Berliner Göre. Ilka Schröder macht seit sieben Jahren Politik. Hellwach und konzentriert blickt sie ihren Besucher an. Sie beklagt den wachsenden Einfluß der Wirtschaft auf die Politik. Wie ein Profi.

Seit ihrem 14. Lebensjahr sei sie „politisch aktiv“, erzählt sie. Mit 15 trat sie bei den Grünen ein. Dort bringt sie es bis zur Sprecherin der „Bundesarbeitsgemeinschaft Europa“. Der große Coup gelingt ihr aber erst auf dem Erfurter Grünen-Parteitag im März dieses Jahres. Nach einer guten Rede wird sie überraschend auf den fünften Listenplatz für die Europawahl gesetzt. Trotz des schlechten Wahlergebnisses der Grünen reicht das für den Einzug ins Parlament.

Vielleicht habe sie ein übertriebenes Gerechtigkeitsgefühl, versucht Ilka Schröder ihr frühes politisches Engagement zu erklären. Große Worte findet sie dafür nicht. Eine Anekdote aus der Kindheit kommt ihr in den Sinn. In der Grundschule hatte ein Mitschüler behauptet, daß es Schiffe gebe, die einen Zug transportieren könnten. Die Lehrerin widersprach dem Jungen. Aber Ilka Schröder wußte, daß er recht hatte. Seitdem flößen ihr Autoritäten nicht mehr per se Respekt ein. Ilka Schröder stellt sie in Frage.

Joschka Fischer trägt vor dem Europaparlament den Rechenschaftsbericht der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vor. Ilka Schröder sitzt auf ihrem Abgeordnetensitz 542 und lauscht gespannt. Der Außenminister rechtfertigt erneut den Kosovo-Krieg. Sie kritzelt auf ihre Unterlagen zwei seiner Sätze: „Es ist seit 92 alles getan worden, um den Konflikt politisch zu lösen“, und „keine Kritik an Dayton“. In beiden Punkten stimmt sie ihm nicht zu. Das hat sie auch öffentlich geäußert. Die Autorität Fischers gilt für sie ebensowenig wie einst die der Lehrerin.

Das verschafft Ilka Schröder nicht nur Respekt. Der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir lästerte intern über sie, weil sie während der Nato-Luftangriffe auf Serbien überlegt hatte, ob die Kriegs-Grünen noch wählbar seien. Heide Rühle, die Grünen-Spitzenkandidatin für Europa, verkündete beim Erfurter Parteitag, daß erfahrene Leute wichtiger seien als Jugendlichkeit. Und auch Daniel Cohn-Bendit, dem Star der Grünen im Europaparlament, fällt zu Ilka Schröder nur ein: „Jaja, die ist jung.“ Solche Äußerungen empfindet sie fast schon als Mobbing. „Wer mich nur als Youngster wahrnimmt, lenkt von den Inhalten ab.“

Ilka Schröder ist nicht nur jung. Sie ist eine intelligente, linke Studentin, die sich nicht damit abfinden will, wie diese Gesellschaft funktioniert. Sie findet es nicht akzeptabel, wie die Wirtschaft die Politik beherrscht. Mit Empörung spricht sie über das gerade gestoppte Multilaterale Investitionsabkommen (MAI). Es hätte Konzerne dazu ermächtigt, Schadenersatz von Staaten zu fordern, wenn der Firmengewinn durch deren Umweltschutzbestimmungen geschmälert würde. Sie will dazu beitragen, Verträge solcher Art künftig zu verhindern. Den Anspruch, daß Politik gestalten kann, hat sie noch nicht aufgegeben.

Ilka Schröder hat nicht sehr viel gemein mit Frauen ihres Alters, auch wenn sie noch immer in einer Wohngemeinschaft lebt. Allerdings mittlerweile in Berlin, nicht mehr an ihrem Studienort Oldenburg. Ihr Volkswirtschaftsstudium mußte sie erst einmal abbrechen. Auch ihre finanzielle Lage unterscheidet sich deutlich von der ihrer Altersgenossen. Bisher mußte sie mit 1.000 Mark monatlich von ihren Eltern und einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung auskommen. Jetzt bekommt sie 12.000 Mark Abgordnetengehalt, plus 15.000 Mark, um Mitarbeiter zu beschäftigen. Geld bedeutet ihr jedoch nicht viel. Für Sitzungstage in Brüssel will sie sich ein Fahrrad kaufen. Ein gebrauchtes. Das findet sie völlig normal. „Bisher hatte ich doch auch nur ein gebrauchtes Rad.“

Vor lauter Presseterminen und Sitzungen hat die 21jährige noch gar keine Zeit gehabt, um in Straßburg Leute kennenzulernen. Ihre Abende verbringt sie meistens im Büro, arbeitet bis 23 Uhr und läßt sich dann von der Fahrbereitschaft des Parlaments in ihr Hotel über den Rhein nach Kehl fahren. Sie wisse nicht mal, ob in dem Hotelzimmer ein Fernseher stehe. Und überhaupt: Fernsehen lehnt sie ab. Durch die Bilder lasse man sich viel zu leicht manipulieren. Die Berichte über den toten Kennedy? Ilka Schröder guckt verächtlich: „Sie lenken die Leute von den wichtigen Dingen ab.“ Opium fürs Volk.

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