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New Bridge Over Troubled Water

Die Öresund-Brücke steht und schließt Schweden endlich direkt an Europa an. Umweltschützer befürchten zunehmenden Schwerlastverkehr und Langzeitschäden für die Ostsee  ■    Aus Stockholm Reinhard Wolff

Die Autolobby darf sich freuen. Seit dem Wochenende und mit dem Einsetzen eines letzten 140 Meter langen Brückenteils ist die knapp 16 Kilometer lange Landverbindung zwischen Dänemark und Schweden komplett. Ein seit hundert Jahren umstrittenes und binnen fünf Jahren für rund 5 Milliarden Mark fertig gestelltes Projekt ist Wirklichkeit geworden.

Ab Mitte nächsten Jahres kann man mit der S-Bahn zwischen der dänischen Hauptstadt Kopenhagen und dem südschwedischen Malmö pendeln. Vor allem aber mit dem Auto nach Schweden gelangen, um Urlaub zu machen, und nach Dänemark, um die Alkoholvorräte zu ergänzen – und das, ohne erst an einer Fähre Schlange stehen zu müssen. Statt in 45 Minuten ist der Öresund dann in einer Viertelstunde überquert.

Die Steuern für die Durchfahrt durch die Wasserstraße füllten einst zu zwei Dritteln die Kasse der dänischen Könige. Jetzt kassiert das „Öresundskonsortium“ Brückenzoll – etwas mehr als 100 Mark muss man für eine Hin- und Rückfahrt mit dem PKW hinblättern. In 26 bis 27 Jahren sollen damit Baukosten und Zinsen für die Kredite hereingeholt sein.

Vermutlich wird es sogar schneller gehen. Die vor einem Jahr eröffnete feste Verbindung über den Großen Belt, die die dänische Hauptstadtregion mit Jütland, „Festland-Dänemark“, verbindet, hat gezeigt, dass so eine Autostraße ganz andere Verkehrsbedürfnisse weckt. Binnen 12 Monaten überquerten 50 Prozent mehr PKWs und LKWs die Landesgrenzen. Auch die Bahn konnte ein paar Prozent zulegen, während der Kerosin fressende Kurzstrekkenluftverkehr erfreulicherweise zu den Verlierern zählt.

Eine Umweltbilanz, die allerdings auch die wenig umweltfreundlich mit Schweröl dieselnden Fähren gegenrechnen müsste, gibt es noch nicht. Da allein durch diese eine Brücke der gesamte individuelle Autoverkehr in Dänemark in sechs Monaten um 2 Prozent angestiegen ist, scheint klar, dass die feste Landverbindung zu Lasten der Umwelt geht.

Nicht anders wird es bei der Öresundbrücke sein. Hatte man sie der Bevölkerung einst vor allem mit dem Argument einer schnellen Bahnverbindung schmackhaft gemacht, ist mittlerweile klar, dass die beteiligten Eisenbahngesellschaften außer dem Lokalverkehr und ein, zwei Schnellzügen zwischen Hamburg und Stockholm kein besonderes Interesse haben. Der Güterzugverkehr zum Kontinent werde weiterhin über Fähren direkt nach Deutschland abgewickelt werden, haben die schwedischen Staatsbahnen kürzlich klargemacht. Das sei billiger und dauere auch nicht länger. Also wird der Mammutanteil über LKWs abgewickelt werden – wie schon bei der Brücke über den Großen Belt, wo ihr Anteil am Gesamttransportaufkommen von 62 auf 79 Prozent anstieg.

Was für Umweltauswirkungen die gestörten Wasserströme unter der Brücke haben werden, steht noch nicht fest. Meeresbiologen warnten schon in den 80ern vor Langzeitschäden für die Ostsee, deren Hauptwasseraustausch über den Öresund erfolgt. Schon jetzt gibt es immer weniger Blaumuscheln sowie Dorsch- und Aalnachwuchs. Umstritten ist aber, ob das mit den Bauarbeiten, der Brücke oder Klimaeffekten zusammenhängt.

Einen regelrechten Wirtschaftsboom versprechen sich die LokalpolitikerInnen auf beiden Seiten der Öresundverbindung. Die Träume reichen von einem Aufschwung der – vor allem auf schwedischer Seite kriselnden – Region bis zum EU-weit ersten gelungenen grenzüberschreitenden Wirtschaftsraum. Das dürfte jedoch nicht so ohne weiteres funktionieren. Zu unterschiedlich sind die Regelungen beider Länder. Das fängt damit an, dass Taxis keine Fahrgäste im Nachbarland aufnehmen dürfen, und hört damit auf, dass die Sozial- und Steuersysteme es schwer machen, in dem einen Land zu wohnen und im anderen zu arbeiten. PessimistInnen auf schwedischer Seite befürchten, Malmö und Südschweden würden als dänisches Industrie-Anhängsel enden. In Dänemark malt man das Schreckensgemälde eines verslumten Großstadt-Kopenhagen, das die ganze Problembevölkerung der Region aufnehmen muss, während alle Bessergestellten ins ländlich-idyllische Südschweden flüchten. Trotzdem wird die Öresundverbindung nach wie vor von einer knappen Mehrheit der Bevölkerung begrüßt.

8.000 Jahre ist es her, dass sich die Wassermassen in den Nachwehen der letzten Eiszeit am jetzigen Öresund einen Weg durch die Landenge bahnten und aus dem Binnengewässer Ostsee ein Meer machten. Erstmals seitdem braucht man nun von einem Ufer zum anderen kein Boot oder Fährschiff mehr benutzen. Wenn die Tunnel- und Brückenverbindung am 1. Juli 2000 planmäßig eingeweiht werden wird, kann man gar trockenen Fußes vom Nordkap nach Gibraltar gelangen. Theoretisch. Denn beide sind nicht nur für FußgängerInnen, sondern auch für RadfahrerInnen gesperrt. So gibt es nur noch eine allerletzte Möglichkeit der Überquerung zu Fuß. Am 12. Juni 2000. Da findet ein Halbmarathon von der dänischen zur schwedischen Seite statt. Wer sich bisher allerdings noch nicht angemeldet hat, hat Pech gehabt. Die Startlisten sind bereits geschlossen. Dann bleibt nur das Warten auf die nächste Eiszeit, die vielleicht die Öresund-Ufer wieder zusammenschiebt.

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