: Öl fließt ins Meer, Fabriken stehen still
Das Erdbeben in der Türkei verursacht unabsehbare Umweltschäden. Die Folgen zu beseitigen, wird wahrscheinlich 40 Milliarden US-Dollar kosten. Für das wirtschaftlich schwache Land ist das nicht zu bezahlen ■ Von Hannes Koch
Berlin (taz) – Vier Tage nach dem Erdbeben in der Türkei mehren sich die Meldungen über große ökologische und ökonomische Schäden. Aus geborstenen Leitungen der Tupras-Ölraffinerie bei der nordtürkischen Stadt Izmit flösse Öl ins Marmarameer, teilten Experten des BP-Konzerns gestern mit. Es sei bereits eine Wasserfläche von 75 Hektar verschmutzt. Die Verseuchung gefährdet damit möglicherweise auch die Millionenmetropole Istanbul, die ebenfalls am Marmarameer liegt, der Verbindung zwischen dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer.
Nach Informationen des Raffinerie-Leiters Husamettin Danis hat die Feuerwehr den nach dem Beben ausgebrochenen Brand in der größten Ölverarbeitungsanlage des Landes gestern „unter Kontrolle“ gebracht. Soll heißen: Einige Tanks brennen noch immer, aber das Feuer greift nicht mehr weiter um sich. Damit scheint einstweilen die Gefahr gebannt, dass auch der benachbarte Chemiekomplex Petkim in Flammen gerät.
20 Feuerwehrleute der Berufsfeuerwehr Frankfurt/Main und des BASF-Konzerns berichteten gestern morgen, dass „außerhalb der Raffinerie keine Flammen mehr zu sehen“ gewesen seien. Der Trupp aus Experten für Chemie- und Ölbrände war in der Nacht zum Freitag nach Izmit gereist.
Am Mittwoch hatten sieben Öltanks in Brand gestanden, von denen jeder einen Durchmesser von 42 Metern aufweist. Bei derartigen Bränden würden jede Menge hochgiftige Zerfallsprodukte des Erdöls entstehen, sagte gestern Otmar Wassermann, Toxikologe an der Universität Kiel. Unter anderem als Ruß werden sie von Menschen und Tieren eingeatmet und können langfristig Krebs verursachen.
Das Istanbuler Büro der Umweltorganisation Greenpeace berichtet, dass das Beben in der Stadt Yalova eine Fabrik für synthetische Fasern beschädigt habe. Dabei sei ein Chemikalientank aufgerissen, und ausgetretene Dämpfe hätten Hunde und Vögel getötet. Menschen sind Greenpeace zufolge nicht verletzt worden, weil das Militär sie rechtzeitig evakuiert habe. Nach Informationen der britischen BBC ist das Leck inzwischen gestopft.
Während Zyniker unter den Ökonomen sich fragen, ob das Erdbeben durch seine Zerstörungen nicht die Nachfrage entscheidend ankurbelt und damit letztlich positiv für die Türkei sei, überbieten Schätzungen des ökonomischen Schadens sich gegenseitig. Die türkische Zentralbank vermutet Kosten für den Staat in Höhe von fünf bis sieben Milliarden US-Dollar. Der türkische Unternehmerverband Tüsiad beziffert den Gesamtschaden auf 40 Milliarden Dollar.
Die sieben Provinzen rund um das östliche Marmarameer erwirtschaften 34,5 Prozent des türkischen Bruttoinlandsprodukts von insgesamt 204 Milliarden Dollar. Nahezu alle transnationalen Konzerne betreiben Fabriken in der Region. Der Schaden dort entsteht weniger durch die Zerstörungen als vielmehr durch den Ausfall von Zulieferungen und Infrastruktur.
So funktioniert in weiten Teilen der Erdbebengebiete die Stromversorgung nur noch teilweise. Umspannstationen brennen. Die Telekommunikation ist weitgehend ausgefallen.
Beispielsweise ruht die Produktion im Istanbuler Land-Rover-Werk von BMW – unter anderem weil die Arbeiter gegenwärtig Wichtigeres zu tun haben. Nach ihrer Rückkehr wolle man in zwei Wochen wieder produzieren, sagte ein BMW-Sprecher. Nach zwei Tagen Unterbrechung ist die Arbeit im Bus- und Lkw-Werk von Mercedes-Benz wieder angelaufen. Anders bei Fiat: Dort stehen alle Bänder still.
Das Beben hat die Türkei zu einer Zeit getroffen, in der die ökonomische Lage sowieso nicht rosig ist. Viele Unternehmen florieren nicht, das erwartete Wachstum für 1999 liegt unter einem Prozent, das Haushaltsdefizit steigt, und die Steuereinnahmen sinken.
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