: Freundlicher Autist
Er ist zuvorkommend und fürsorglich, entscheidungsfreudig und hat ein Ziel. Schade nur, dass dies niemand bemerkt. Jürgen Trittin, einst Kommunist und Weltverbesserer, heute Bundesumweltminister und Buhmann der Politik, ist ein Mann der Konflikte. Vor allem jener mit sich selbst. Von einem, dem viele den Ausstieg wünschen ■ Von Heike Haarhoff
Die Taschentücher. Natürlich. Plötzlich ist die Szene, dieses belanglose Detail, das Monate zurückliegt und nur einige Sekunden dauerte, wieder gegenwärtig. Bielefeld, Sonderparteitag der Grünen zum Kosovo, der Außenminister soeben von einem Farbbeutel an Ohr und Jackett getroffen. Und er, wie er so dastand und geistesgegenwärtig Tempos reichte und half, seinen besudelten Ministerkollegen abzutupfen. Während andere hektisch hin- und herflitzten.
Im Nachhinein geradezu furchtbar schlüssig. Aber warum ist dieser Zug an ihm zuvor nicht aufgefallen? Warum erst jetzt, da Jürgen Trittin zum Greifen nah im ruckeligen Hubschrauber sitzt, herunterpurzelnde Kaffeegedecke der mitfliegenden Kollegen aus seinem Umweltministerium mit der unprätentiösen Selbstverständlichkeit eines Stewards aufhebt und nebenbei organisiert, wie seine Begleiter nach Ende der Dienstreise im spätabendlichen Berlin sicher und bequem nach Hause kommen könnten.
Keine Frage, der Mann ist fürsorglich. Und kann sich benehmen. Zuweilen gar selbstironisch: Seit dem Regierungsumzug wohne er ja neuerdings in Pankow, mitten in der Einflugschneise des Berliner Flughafens Tegel. Deutschlands hubschraubreisender grüner Umweltminister grinst. Folglich werde er selbstverständlich demnächst der Bürgerinitiative „Tegel stillegen – jetzt!“ beitreten.
So ist er also. Beziehungsweise: So ist er also – auch.
Wer Trittin bislang nur aus dem Fernsehen kannte, musste mit dem Schlimmsten rechnen, als seine Pressestelle faxte: „Der Bundesumweltminister lädt Sie ein, an einer Informationsreise in die Solarregion Freiburg teilzunehmen.“ Zwei Tage unterwegs mit Trittin? Mit dem laut Umfragen unbeliebtesten Politiker Deutschlands, der unter anderen dem Kanzler „auf den Keks“ geht. Dem beim Feilschen um den Atomausstieg jegliches diplomatisches Geschick abzugehen scheint. Der ob seines Dogmatismus als „gefährlicher Kommunist“ bis in französische und britische Regierungskreise verschrien ist. Diesem „unkommunikativen Dickschädel“, über den selbst Parteifreunde klagen, dass er „lieber seinen Autismus pflegt“, anstatt „einmal rechtzeitig die Schnauze aufzumachen, wenn es brennt“. Zwei Tage mit diesem Interviewpartner, der unliebsamen Reportern schon mal vor laufenden Kameras das Mikrofonkabel in der Autotür einklemmt?
Entweder er würde sich als „der Rüpel vom Dienst“ präsentieren (Spiegel), „misstrauische, lauernde Verschlossenheit“ demonstrieren und dabei „zwischen Staatspathos und Rotzigkeit“ schwanken (Die Zeit), „unnahbar“ bleiben (taz) oder als „einsamer Wolf“ heulen im Kampf für „die grüne Sache“ (FAZ).
Bestenfalls, so die Annahme, würde man es mit einem kauzigen Schnauzbartträger zu tun haben. Der versuchen müsste, das Steuer im Dauermeinungsstreit um seine Person in der Regierung herumzureißen. Viel Zeit bleibt dafür nicht. Anfang September treffen sich in Berlin die grünen Atomexperten. Bis dahin muss Trittin sein Konzept für den notfalls gesetzlichen Ausstieg fertig haben. Es muss so überzeugend sein, dass es auch der Basis und einem möglichen Sonderparteitag stand hält. Bis Ende September dann will die rot-grüne Regierung sich auf eine Linie geeinigt haben, mit der sie gegenüber den Energiekonzernen auftritt. Will. Scheitert das, könnte nicht nur beim Kanzler, sondern auch im Realolager der Grünen die Geduld mit Trittin zu Ende gehen. Könnte dem blonden Norddeutschen, der erst 45 ist, aber schon seit einem Vierteljahrhundert nichts als Politik macht, der Zwangsrücktritt drohen.
Und nun diese Aufgeräumtheit. Trittin klettert aus dem Hubschrauber und wirkt nicht so, als könne ihn diese Vorstellung stressen. Freiburg, die erste Station seiner Solarexpedition, ist weit weg von den Widersachern in Berlin. Die Grünen sind hier im Südwesten zweitstärkste Kraft im Stadtrat. Und auf der Pressekonferenz oben auf dem Schauinsland soll es nicht um leidige Atomkraftwerke gehen, sondern darum, dass auf den höchsten Gipfel Badens demnächst Deutschlands erste solarbetriebene Seilbahn fährt. Der „Herr Minischter“ soll als Schirmherr gewonnen werden.
Mit einem Blick, als dürfe er die Solarbahn gleich als Geschenk mit nach Hause nehmen, hebt Trittin zur Dankesrede an. Er lobt das „Engagement der Zivilgesellschaft“ in Freiburg, murmelt, dass „da, wo ich herkomme, die höchsten Erhebungen Deiche sind“, und erstarrt plötzlich zu einer uncharmanten Masse: die Arme vor dem Bauch verschränkt, der Blick mürrisch und aus der Kehle Laute, die so etwas wie „Dazu äußere ich mich nicht“ heißen könnten. Er solle doch eine Meldung kommentieren, wonach der Kanzler sich mit der grünen Fraktionsspitze bereits über den Atomausstieg geeinigt habe, hatte der Reporter bloß gebeten. Zugegeben: zum dritten Mal bereits gebeten. Nervig, sicher. Ein eleganter Spruch inhaltlicher Leere, garniert mit einem flüchtigen Lächeln, hätte es vielleicht auch getan. Trittin dagegen wird grantig.
Es sind diese Anflüge von Kotzbrockigkeit, die ihm verübelt werden. Schneller als anderen, weil er schon bei Lappalien die Beherrschung verliert und bevorzugt in Krisenzeiten provoziert. Wie im März nach dem Rücktritt von Bundesfinanzminister Lafontaine. Da tönte Trittin, das rot-grüne Reformprojekt sei „tot“. Ein Leichtes, so einem Nörgler die Schuld am gemeinsamen Scheitern zu geben. Deswegen werden die Debatten um seine Umweltpolitik und den Atomausstieg längst nicht mehr inhaltlich geführt, sondern konzentrieren sich auf den nächsten Fauxpas, den nächsten unglücklichen Zwischenton des Ministers. Deswegen ist sein Image schwerer als das anderer Politiker zu reparieren. Schon gar nicht durch PR-Aktionen einer Beliebigkeit, wie sie in jüngster Zeit sich häuften: Mal war Trittin der Kumpel vom Nachbarschaftsgrill im Hinterhof. Mal machte er einem Klatschmagazin den Dressman. Mal gab er bei Bio den bösen Buben.
Und nun steht dieser Typ, gerade noch widerspenstig, vergnügt und unverkrampft in Freiburg und verkündet: „Ich kenne die Rücktrittsforderungen seit Jahren. Ich bin in dieser Republik ja für alles Mögliche verantwortlich, für Überschwemmungen, für schlechtes Wetter.“ Er merkt, es steht schlecht um ihn. Und tut nichts dagegen.
Denn eigentlich schließt einer wie er keine Kompromisse. Wer vor mehr als zwanzig Jahren in den Kommunistischen Bund eingetreten ist und den linken Göttinger AStA überlebt hat, dem geht es um Prinzipielles, der duldet keinen Widerspruch. Der erträgt es lieber, isoliert und gehasst zu sein, als von seinen Überzeugungen abzurücken. Wer Häuser besetzt hat, dem geht es ums Ganze, nicht um Reförmchen. Wer sich nach zwei Jahren als Parteisprecher der flügelkämpfenden Grünen freiwillig wiederwählen ließ, braucht den Streit. Selbst wenn sich so einer weiterentwickelt und seinen Weltblick vergrößert, kann er an der Macht nur in ein Dilemma geraten: Jetzt plötzlich doch Kompromisse schließen zu müssen, es auch zu wollen und dann zu merken: Man kann sich nicht treu bleiben. Darüber kann man die geballte Wut kriegen.
„Jürgen wirbt nicht für sich“, sorgt sich ein Parteifreund. Im persönlichen Umgang hat das etwas Einnehmendes, Gewinnendes. Denn Trittin berechnet nicht. Nicht den konservativen Bürgermeister einer Kleinstadt bei Freiburg, dem er seine „volle Sympathie“ ausspricht, weil der Dorfchef sich gegen ein umstrittenes Neubauviertel wehrt. Nicht die Medienrunde, für die er abends in der badischen Kneipe unbemerkt aufsteht und neuen Wein besorgt. Trittin macht ganz einfach, was er normal findet, wie er es normal findet. Ohne viel Aufhebens.
In der Politik freilich führt so ein Verhalten zu Verstimmungen. Kurz nach seinem Amtsantritt löste Trittin im vergangenen Winter die Kommission für Reaktorsicherheit auf, ohne Rücksprache mit den Grünen, ohne Rücksprache mit dem Koalitionspartner. Und wo er schon einmal dabei war, erklärte er flugs, der Streit um seine damalige Atomgesetznovelle könne intern nicht mehr beigelegt werden. Nicht nur der Kanzler schäumte über das „wichtigtuerische Gehabe“ und die „parteipolitische Symbolik“ seines Ministers. Auch Grüne sind frustriert über „Jürgens Rechthaberei“: „Solange du ihm nicht widersprichst, ist eitel Sonnenschein, aber wehe, wenn doch“, berichtet ein Parteifreund.
Anstatt frühzeitig Alliierte zu suchen, schottet Trittin sich ab und überrumpelt andere sodann mit seinen einsamen Entscheidungen. Auch jetzt, da es brenzlig für ihn wird, da in Kneipen Grüne bereits leise diskutieren, ob die linke Berliner Fraktionschefin Renate Künast nicht eine geeignete Nachfolgerin für ihn sei, hat der Minister wenige Vertraute um sich geschart. Außer einer Hand voll Getreuen, die zum Teil seit bereits zehn Jahren mit ihm arbeiten, lässt er keinen an sich ran. Loyalität scheint ihm wichtiger als die Sorge, dass Berater, die ihn bereits so lange kennen, zu mangelnder kritischerDistanz neigen könnten.
Es ist schwer, mit Trittin darüber zu sprechen. „Ich versuche es ja“, mehr Vertraute zu finden, sagt er schließlich. „Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Vertrauen missbraucht wurde. Und wenn das dann 30 Mal passiert, dann sind das vielleicht 30 Einzelfälle, dann ist das Ergebnis aber trotzdem statistisch signifikant.“ Dann muss es auch mit einem selbst etwas zu tun haben, möchte man hinzufügen. Zum Beispiel damit, dass sich gute Inhalte allein mit Bockigkeit selten durchsetzen lassen. Dass es nicht gut ankommt, wenn man denen, die man als Verbündete gewinnen will, zugleich Urteile wie dieses ausstellt: „Um geschlossen aufzutreten, bräuchten die Grünen mehr Tiefgang und vor allem eine Strategie.“
Ein Grund, die Brocken hinzuschmeißen, ist sein Frust über die eigenen Leute nicht. Es ist einer der Momente, in denen Jürgen Trittin jeden seiner 196 Zentimeter Körperlänge anspannt, so als konzentriere er sich auf einen sehr komplizierten Sachverhalt, um dann zu erklären: „Man muss ein Ziel haben, das über den Tag hinausgeht.“ Und, später: „Ein Atomausstiegsszenario muss seinen Namen verdienen.“ Es gibt wenige Menschen, denen es gelingt, solch eher banale Sätze zu Weisheiten zu erheben. Trittin steckt voller solcher Bekenntnisse. Er ist einer, der trotz aller gegenteiligen Erfahrung an den politischen Erfolg durch Argumente und Tatsachen glaubt. „Zwei Drittel der Primärenergie, die in Atomkraftwerken eingesetzt werden, bleiben ungenutzt“, ruft er nach einem langen Tag in Freiburg abends den badischen Grünen auf einer Parteiveranstaltung zu. „Da ist es doch kein Anschlag auf den Wirtschaftsstandort Deutschland“, er brüllt fast, Haarsträhnen fallen ihm ins Gesicht, seine geballten Fäuste fahren auf und nieder, dass man Angst hat, gleich schlagen sie aufs Pult und er sich die Finger blutig, „wenn ich sage, dass wir es hier mit einer ineffizienten Steinzeittechnologie zu tun haben.“ Er schnappt nach Luft, und wie er so mit unwirschem Blick und in schroffem Ton fordert, dass über die Risiken von Atomkraft und Gentechnologie die Bürger „wie mündige und freie Menschen“ aufgeklärt gehören, hat er geradezu etwas 80er-Jahre-Grönemeyereskes: Selbstverbiegung und sonstige faule Kompromisse zu verdammen und damit ganze Säle in Oasen der Aufrichtigkeit zu verwandeln. Das Publikum feiert Trittin, als habe er soeben mindestens acht Atommeiler auf einen Streich stillgelegt.
Nach der Veranstaltung überlegt Trittin kurz. „Natürlich wird es schwierig“, räumt er dann ein. Auf den Erfolg der Beratungen zum Atomausstieg möchten derzeit wenige wetten. Denn stellt sich heraus, dass sowohl der Kanzler als auch der Wirtschaftsminister, als auch er, Trittin, „auf unseren jeweiligen Standpunkten beharren“, dann, er grinst etwas schief, „dann sind wir in einer schwierigen Situation“. Und weiter? „Man kann nicht Selbstmord begehen.“ Sondern? „Es kann uns das Genick brechen.“ Er könnte auch sagen, es kann mir das Genick brechen. Aber Angriffe auf die eigene Person sind nur eine Sache. Trittin ist schon einen Schritt weiter. Er weiß: Opfert ihn das Kabinett, dann geht es auch um uns, die Partei, die Grünen, die wenig haben, womit sein Rausschmiss zu kompensieren wäre: Die Partei hat keine Geschichte, keine Tradition, dafür Grabenkämpfe um die Frage, wer und wie Grün eigentlich ist. Gründungsmitglieder wie Trittin machen nur noch 1,2 Prozent der heutigen Partei aus. Es gibt wenige gemeinsame Erfahrungen, auf die man sich verlassen könnte. „Viele Schwierigkeiten in der Vergangenheit wurden als Herausforderung betrachtet, waren tatsächlich aber eine Überforderung.“ Er stockt. „Wir sind eine postmoderne Partei.“ Es klingt wie ein Fluch.
Auf dem Weg zum Hubschrauber, der ihn zurück nach Berlin bringen soll, lächelt er schon wieder tapfer. Sagt, dass es auch Erfolge gibt. Zum Beispiel die Altautoverordnung, die jetzt doch in Kraft trete, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung. Ausgerechnet das Thema, mit dem der Kanzler ihn unlängst blamierte und zu demontieren suchte, spricht Trittin an. Und setzt noch eins drauf. Schröder sei halt etwas nachtragend. Vor Jahren, noch als Ministerpräsident von Niedersachsen, habe Schröder eine Initiative zum Asylrecht auf den Weg bringen wollen. Doch er, Trittin, damals in Schröders Landeskabinett, habe dies im Bundesrat verhindert. Er kichert. Als habe der Kanzler sich nun gerächt. Als stünde es jetzt eins zu eins unter Gleichen. Wie angeschlagen muss einer sein, den die Selbstwahrnehmung so sehr im Stich lässt.
Der Hubschrauber setzt zur Landung an. Der Bundesumweltminister ist guter Dinge. „Es kann in der Atomfrage nur eine Lösung geben, die die Grünen nicht spaltet“, sagt er noch einmal. So zuversichtlich, wie man mit Flugzeugen im Bauch klingt.
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