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■ KommentarEin chancenloser Vorstoß  Für ein Amnestiegesetz fehlt der politische Wille

Geht es nach Renate Künast, Christian Ströbele, Antje Vollmer und anderen Grünen, so sollen „im Interesse einer rascheren Resozialisierung und der Eröffnung eines Neuanfanges für straffällig gewordene Menschen“ zur Jahrtausendwende „zehntausende von Gefangenen“ aus der Haft entlassen werden. Das ist der Kern der Initiative „Amnestie 2000“, die gestern öffentlich vorgestellt wurde.

Sowohl Künast, die grüne Spitzenkandidatin bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl am 10. Oktober, als auch der Bundestagsabgeordnete Ströbele setzen sich seit Jahren aktiv für Strafgefangene ein. Das macht ihre Initiative glaubwürdig. Auch bezweifelt niemand, dass überfüllte Gefängnisse keine geeigneten Orte für eine Resozialisierung sind. Deshalb ist der Vorstoß generell richtig. Gleichwohl bleibt er auf halbem Wege stehen. Denn amnestiert werden sollen nur Menschen, deren Strafzumessung ein Jahr nicht übersteigt. (Rest-)Haftstrafen bis zu drei Jahren sollen halbiert werden. Wer mehr abzusitzen hat, geht leer aus.

Warum eigentlich? Auch Mörder, Bankräuber und andere sind grundsätzlich resozialisierungsfähig und resozialisierungswürdig. Dass Straftäter, von denen weiterhin eine „Bedrohung für die Gesellschaft ausgeht“, von einer möglichen Amnestie ausgenommen werden müssen, ist dabei selbstverständlich. Man sollte es erwähnen, der beinahe schon ängstlichen Betonung im Aufruf bedarf es indes nicht. Schon deshalb trifft auch der Hinweis aus der SPD nicht, dass „viele Gewalt- und Wiederholungstäter“ aus dem rechtsextremistischen Bereich ebenfalls unter eine solche Amnestie fallen würden. Entweder – oder, das muss auch für politische Gegner gelten.

Doch die Initiative zur „Jubiläumsamnestie“ hat noch einen zweiten Schönheitsfehler. In der verbleibenden Zeit bis zum Jahreswechsel wird ein Amnestiegesetz nicht mehr verabschiedet werden können – dazu fehlt schlichtweg der politische Wille. Schon die notwendige und von Künast/Ströbele erhoffte „öffentliche Diskussion darüber“ wird es daher vermutlich kaum geben.

Was bleibt, ist der verzweifelte Versuch, sich in der eigenen Partei nicht auch noch die letzten bürgerrechtlichen Wurzeln ausgraben zu lassen. Bei allen Mängeln der Amnestieinitiative ist selbst dies im politischen Klima der Bundesrepublik mittlerweile ehrenvoll. Otto Diederichs

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