piwik no script img

„Mehr fordern, weniger fördern“

■ Sozialressort freundet sich unter dem Spardruck mit einem neuen Paradigma an: Mit sanftem Druck zur Selbsthilfe bringen

Der Bremer Sozialetat soll in den kommenden Jahren schrumpfen, im Jahre 2005 soll es 50 Millionen Mark weniger geben als heute und 270 Stellen sollen wegfallen. Die Spitze des Ressorts, die gerade 100 Tage amtierende neue Senatorin Hilde Adolf und ihr altgedienter Staatsrat Hans-Christoph Hoppensack, wollen aber pragmatisch an das Problem herangehen. Auch wenn sie sich heute noch nicht vorstellen können, wieviel die Kürzungen in Wahrheit ausmachen werden: Jede Steigerung der Sachkosten und jede Tarifsteigerung, die in den letzten Jahren fast automatisch zu höheren Etat-Eckwerten geführt hätte, muss im Etat „aufgefangen“ werden. Es gebe einen „Paradigmenwechsel“ in der sozialdemokratischen Sozialpolitik, sagt der Staatsrat: Früher – und auch dafür war er in Bremen verantwortlich – habe eine „versorgende Haltung“ vorgeherrscht. Man sei bemüht gewesen, jeden Hilfebedürftigen aufzuspüren und mit einer Maßnahme zu erreichen. Wer hohe „Fallzahlen“ hatte, galt als guter Sozialpolitiker.

Unter dem Finanzdruck gehe es heute darum, die Fallzahlen zu drücken. Über „Hilfen zur Arbeit“, die ein verbindliches Angebot darstellen und die „aber auch so genutzt werden müssen“ (!), sollen die Menschen auf den Weg der Selbsthilfe gedrängt werden. „Fördern und fordern“ sei die Devise, früher habe man das „Fordern“ weniger und das „Fördern“ mehr betont. Die Hoffnung, alle Probleme lösen zu können, habe sich aber nicht erfüllt, bemerkt Hoppensack mit gewisser selbstkritischer Ironie. Wenn es in einer Familie Probleme gebe, werde heute daher sehr schnell nach den Stärken gefragt, an denen sich die Familie selbst stabilisieren könne – der Anspruch, dass die Sozialsysteme alle Defizite möglichst ausgleichen sollten, bestehe nicht mehr. Der Staatsrat im Arbeitsressort, Arnold Knigge, verweist darauf, dass Bremen sehr hohe Zahlen in den Programmen „Hilfe zur Arbeit“ aufweisen kann.

Erstmals seit Jahren – das kommt gerade richtig – sinken die Fallzahlen der Sozialhilfe-Bezieher; warum das so ist, weiß die Behörde nicht genau, vermutlich sind es vor allem die Zahlen der Flüchtlinge, die zurückgehen. Der Trend ist bundesweit sichtbar, und daher hofft die bremische Sozialsenatorin, dass er anhaltend ist.

Aufgrund der Finanzlage sei es heute leichter, bei Protesten hart zu bleiben, erklärte die neue Sozialsenatorin den Wandel im sozialpolitischen Rollenverständnis ihres alten Staatsrates. Die Reform der Sozialverwaltung, bei der die fachliche Kompetenz, die richtige Hilfe anzubieten, gleich mit dem Aspekt der Budget-Verantwortung gekoppelt werden soll, ist allerdings noch nicht umgesetzt.

Die Spitze des Sozialressorts konstatiert den Wechsel „Paradigma“ wie einen von außen gesetzten Rahmen. Heute sehe man mehr, sagt Staatsrat Hoppensack, dass die frühere Haltung „die Leute da lässt, wo sie stehen“.

K.W.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen