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Die Wähler sind zu anspruchslos“

■  Sozialminister Walter Riester über die Gefahr künftiger Altersarmut, den Zwang zum Sparen für den Ruhestand, das richtige Timing in der Rentenfrage und die eigene Dünnhäutigkeit: „Manchmal macht mir das Medientheater keinen Spaß“

taz: In 10, 15 Jahren werden viele Ältere nur noch sehr geringe Renten bekommen, sagt eine neue Studie vom Gesamtverband der Versicherungswirtschaft. Bekommen wir dann wieder eine Diskussion über Altersarmut?

Walter Riester: Ich befürchte, dass von denjenigen, die heute im mittleren Alter sind, einige von Altersarmut betroffen sein werden. Das könnten vor allem jene sein, die einen niedrigeren Verdienst, größere Unterbrechungen in ihrer Erwerbstätigkeit, kaum ergänzende Einkommen haben. Gerade diese Menschen haben auch kaum etwas angespart. Das könnte vor allem in Ostdeutschland Probleme geben.

Was wollen Sie dagegen tun?

Die entscheidene Frage ist, wie bringen wir Leute mit niedrigem Einkommen dazu, eine private Zusatzversorgung anzusparen? Deswegen haben wir jetzt den Vorschlag gemacht, die vermögenswirksamen Leistungen langfristig in einen Altersvorsorgebetrag umzuwidmen und zu fördern.

Sie geben damit den Leuten, die ansparen, noch eine staatliche Prämie dazu. Was aber machen Sie mit denen, die nichts fürs Alter zurücklegen wollen oder können? Sie zwingen?

Wir haben uns in der SPD-Fraktion darauf verständigt, diese private Zusatzversorgung freiwillig zu halten, und wir wollen nachhaltig dafür arbeiten, auch auf der betrieblichen und tariflichen Ebene, dass die Leute das dann auch machen können.

Selbst in der Opposition gibt es jetzt schon Stimmen, die sagen, vielleicht muss man doch eine Art zusätzliche Pflichtvorsorge einführen. Die Niedrigverdiener, die nicht freiwillig ansparen, fallen doch später in die Sozialhilfe.

Über die Frage einer obligatorischen Zusatzversicherung wird zur Zeit von verschiedenen Seiten diskutiert. Ich finde es schon erstaunlich, dass jetzt auch von der CDU/CSU der Hinweis kommt, wir müssen es wahrscheinlich doch verpflichtend machen. Aber zur Zeit gibt es noch kein einheitliches Meinungsbild.

Haben wir Sie richtig verstanden: Wenn nicht genügend Menschen freiwillig etwas für das Alter zurücklegen, schließen Sie eine obligatorische Zusatzversicherung nicht aus?

Ich halte nichts davon, jetzt Spekulationen zu nähren. Lassen Sie uns abwarten, ob nicht über den Weg der Freiwilligkeit derselbe Effekt erreicht werden kann. Wissen Sie, nachdem wir den Eckpunkt einer obligatorischen Zusatzversicherung ins Gespräch gebracht haben, war ich mit der Schlagzeile konfrontiert: „Riester will die Zwangsrente“.

Offenbar haben die Leute einen Horror davor, zu neuen Beitragszahlungen verpflichtet zu werden.

Die Eigenvorsorge ist ja ein ganz anderes System, das wir zudem fördern wollen. Doch wenn solche Schlagwörter wie „Zwangsrente“ fallen, haben sie bei einem so emotional besetzten Thema wie der Rente nicht mehr die Chance, rational und kontrovers zu diskutieren.

Das Hin und Her verwirrt die Leute: Mal sind Sie für eine obligatorische Zusatzversicherung, dann wollen Sie abwarten, wie sich alles so entwickelt. Sie als Sozialminister müssen doch handeln.

Politik läuft nicht in einem freien Raum. Sie müssen auch bei Dingen, die Sie für richtig halten, berücksichtigen: Was ist noch tragfähig für die politische Debatte? Politische Debatten brauchen Zeit.

Aber kommt es nicht auch schlecht an, wenn Sie den Wählern die Wahrheit immer nur häppchenweise verabreichen? Auch bei der Rente mit 60 hieß es einmal: Riester will die Rente mit 60. Dann wieder hielten Sie das eigentlich gar nicht für machbar.

Wie das vorzeitige Ausscheiden von Erwerbstätigen, das ich arbeitsmarktpolitisch für sinnvoll halte, künftig finanziert werden kann, das ist Sache der Tarifparteien und kann nicht Aufgabe der Rentenversicherung sein. Das habe ich immer gesagt.

War es nicht leichtfertig, sich mit Klaus Zwickel vor die Kameras zu stellen und die Rente mit 60 zu propagieren? Das kommt in der Öffentlichkeit nun mal so rüber, als wolle der Sozialminister die Rente mit 60 durchsetzen.

Das war schon irritierend, wie das abgelaufen ist. Ich bin damals nach dem Gespräch mit Klaus Zwickel und Franz Ruland von den Rentenversicherern vor die Kameras getreten, und jeder hat nur sein Statement abgegeben. Ich sagte, wir haben uns jetzt auf einen Weg verständigt, der langjährig Versicherten die Möglichkeit eröffnen kann, im Rahmen einer tariflichen Lösung früher auszuscheiden, ohne dass dies beitragswirksam wird. Klaus Zwickel sagte, er sei der Auffassung, dass auf Grundlage eines solchen Weges die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit haben, das untereinander zu gestalten. Ruland erklärte, auf dieser Ebene entstünden für die Rentenkassen keine zusätzlichen Belastungen. Daraus entstand dann die Meldung, der Riester habe seine Linie geändert. Mit der Sache hat das nichts mehr zu tun.

Sehen Sie sich als Opfer der Medien?

Das kommt auf das Medium an. Manchmal macht mir das ganze Medientheater keinen Spaß. Aber es ist natürlich auch schwierig, die Zusammenhänge der Sozialpolitik zu vermitteln.

Sind die Wähler zu anspruchsvoll?

Nein. Die Wähler sind vielleicht zu anspruchslos. Sie müssen diejenigen, die sie gewählt haben, fordern, auch zu handeln und zu gestalten. Abstrakt teilen dies viele. Im Konkreten wird es allerdings schwierig.

Wo ist Ihre Schmerzgrenze, wann würden Sie aufhören?

Wenn die Grenze erreicht ist, lasse ich Sie es wissen. Und um alle Missverständnisse zu vermeiden: Ich finde, dass die Sache die Auseinandersetzung lohnt.

Interview: Barbara Dribbusch, Karin Nink

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