: Noch im Nachhinein erschrocken
Hubertus Knabe, Mitarbeiter der Gauck-Behörde, hat die Westarbeit der Stasi untersucht. Seine auch für die westdeutsche Linke niederschmetternden Befunde sind in zwei Büchern nachzulesen ■ Von Martin Jander
Beide Bücher waren im Vorfeld bereits umstritten. Hubertus Knabe, so hieß es, Forscher der Gauck-Behörde, habe die Geschichte der Westarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) gegen Widerstände seiner Vorgesetzten aufgeschrieben. Gott sei Dank habe er diese Schwierigkeiten überwinden können, denn so sei endlich die von der SED betriebene Unterwanderung der Bundesrepublik dokumentiert. Die konservative Kampfpresse jubelte, linksherum herrschte Schweigen.
Man kann sich inzwischen selbst ein Bild machen. Leider sind beide Bücher, eines ohne das andere, nicht recht verstehbar. In dem beim Christoph Links Verlag publizierten Buch („West-Arbeit des MfS“) beschreibt Knabe die Strukturgeschichte der Stasi. Seine Darstellung widerlegt die Schutzbehauptung von der sauberen HVA (Hauptverwaltung Aufklärung), die mit der Unterdrückung in der DDR nichts zu tun gehabt habe.
Als Walter Ulbricht, Markus Wolf und andere Kader der deutschen kommunistischen Emigration mit der Roten Armee nach Deutschland zurückkehrten, hatten sie nicht die Absicht, den Aufbau ihrer nachnationalsozialistischen Umerziehungsdiktatur auf die SBZ zu beschränken. In ihren Augen war der größere Teil des Landes seit dem 8. Mai 1945 von angloamerikanischen Imperialisten kolonialisiert, den es zu befreien gelte.
Zwar erfüllten SED und MfS ihren selbst gestellten Kampfauftrag nicht. Weder der Umsturz im Westen noch der Aufbau des „Sozialismus in einem halben Land“ gelang. Nicht die anfänglich nur verordnete Demokratie in der Bundesrepublik erlag ihren immer wieder prophezeiten Krisen oder gar der Unterwanderung. Dagegen brach die SED-Herrschaft – von Anfang an ohne demokratische Legitimation – zusammen und entpuppte sich als totalitärer Spuk.
Schon in den ersten Nachkriegsjahren gingen sowjetische Militärbehörden und KPD daran, geheimdienstliche Strukturen aufzubauen. Dies geschah zunächst nicht durch Schaffung eines einheitlichen Apparates, sondern mittels verschiedener Dienststellen in Polizei, Verwaltung und Partei. Ihre ersten Aufgaben bestanden in der Untersuchung und Zerschlagung aller Versuche der „Zersetzung“ und des Eindringens „feindlicher Elemente“ in die aus der KPD hervorgegangene SED. Eine Unterscheidung zwischen West- und Ostarbeit gab es noch nicht. Die geheimdienstlichen Strukturen unterschieden noch nicht zwischen „Verantwortungsbreich“ (DDR) und „Operationsgebiet“ (BRD).
Dies sollte auch in den Fünfzigerjahren so bleiben. Da sich die SED die ökonomischen Probleme und den Aufstand vom 17. Juni 1953 als Resultat westlich-imperialistischer Agententätigkeit schönredete, wies sie das MfS an, mit „konzentrierten Schlägen“ gegen SED-Gegner und Kritiker in der Bundesrepublik und der DDR vorzugehen. Entführungen und Schauprozesse gehörten zum täglichen Geschäft. Wo das MfS keine Spione fand, erfand es welche.
Nach den Aufständen in Ungarn und Polen 1956 und der Beendigung der geplanten Palastrevolte des MfS-Chefs Zaisser gegen Ulbricht wurde mit Erich Mielke die Strategie geändert. Insbesondere seit dem Mauerbau verlegte sich das MfS auf Anweisung des Politbüros neben der Bekämpfung innerer Feinde auf die Diskreditierung der Bundesrepublik. Bis hin zur Initiierung antisemitischer Kampagnen im Westen, die man dann in den Presseorganen der DDR verurteilte, reichte das neue Instrumentarium.
In der mit Erich Honecker folgenden Periode der Entspannungspolitik und der internationalen Anerkennung der DDR orientierte sich die Westarbeit des MfS, neben der Aufklärung und Beeinflussung der westdeutschen Verhandlungspositionen, auf die Zurückdrängung des westlichen Einflusses in der DDR. Der UNO und der KSZE wollte man zwar angehören, aber Ausreisewillige und Dissidenten sollten sich natürlich nicht auf die internationale Garantie der Menschenrechte berufen können.
Im letzten Jahrzehnt der DDR verschmolzen dann „innere Abwehr“ und nach außen gerichtete „Aufklärung“ des MfS erneut, ihre Aufgabe war vor allem, das erodierende SED-Regime zusammenzuhalten und feindlichen Angriffen von innen und außen entgegenzuwirken. Nahezu jeder kritische Blick auf den real existierenden Sozialismus, im Westen wie in der DDR, geriet so ins Visier der Staatssicherheit.
Erst in dem zweiten Buch Knabes („Die unterwanderte Republik“) findet der Leser dann eine ausführliche, aber leider nur exemplarische Darstellung einzelner Aktionen des MfS in der Bundesrepublik und ihrer Wirkungen vorwiegend seit dem Mauerbau. Dies hat mit den nur bruchstückhaft vorhandenen Quellen zu tun. Der Runde Tisch der Wendeära stimmte der Vernichtung elektronischer Datenträger der HVA zu, diese Abteilung des MfS durfte sich schließlich gar selbst auflösen. Eine umfassende Geschichte der Beeinflussung der Bundesrepublik durch SED und MfS ist dies also nicht.
Natürlich konnte man, einen eigenen Zeitschriftenausschnittdienst vorausgesetzt, auch bisher zum Beispiel schon wissen, dass Herbert Wehner in der schwedischen Haft keine kommunistischen Mitemigranten verraten hatte, dass das MfS entsprechende Zeugnisse aber manipulierte, um damit Wehners prowestliche Umorientierung der Deutschlandpolitik der SPD zu bekämpfen. Kenntnisse über Wehners Verrat an kommunistischen Genossen im Moskauer Exil hielt man dagegen tunlichst zurück, sie hätten Fragen nach den Traditionen der SED aufwerfen können. Hier werden die Fakten zum ersten Mal im Zusammenhang geschildert.
Auch Bundespräsident Heinrich Lübke hatte – den Informationen der SED zum Trotz – keinen Bau von KZs zu verantworten. Das MfS trug alle erreichbaren NS-Akten zusammen, nicht um die historische oder justizielle Aufarbeitung des NS-Regimes zu betreiben. Stattdessen ließ man Dokumente selektiv oder gefälscht westdeutschen Publizisten zukommen, um die Bundesrepublik zu diskreditieren. Die publizierten das Propagandamaterial oft skrupellos. Knabe schildert diese Vorgänge quellensicher und minutiös.
Das exemplarische Vorgehen Knabes ist eine Schwäche, aber auch eine unverkennbare Stärke des zweiten Buches. Erst in den Details, wenn die Strukturen Gesichter und Namen bekommen, wird die Monstrosität der sich „antifaschistisch“ gerierenden Diktatur und ihrer angewendeten Instrumente nachvollziehbar.
Knabe gehört zu den wenigen Forschern, die sich bereits in den Siebziger- und Achtzigerjahre mit dem Thema DDR-Opposition befassten und in der politischen Linken der Bundesrepublik für ihre Unterstützung warben. So arbeitete er zum Beispiel im Bahro-Komitee mit. Seine Auseinandersetzugn mit der Funktionalisierung und Zersetzung gerade vieler linker Zusammenhänge in der Bundesrepublik ist somit auch eine aufrechte Selbstprüfung. Er schreibt, er sei „noch im Nachhinein erschrocken“ von der Intensität der Stasi-Arbeit. Dieser Schrecken wird im Buch nachfühlbar.
Als Forscher der Gauck-Behörde war der Autor in der Klemme. Er sollte eigentlich nur die Geschichte des MfS erforschen. Er hat sich die Freiheit genommen, ihre Weiterungen für die Geschichte der Bundesrepublik mitzubeschreiben. Sein Arbeitgeber und der Christoph Links Verlag haben ihm dies übel genommen. Für die Leser dagegen ist es ein großer Gewinn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen