: Das Mädchen ist nun mutigster CDU-Mann
Macht die Kritik an Helmut Kohl Angela Merkel über Nacht zur mutigsten Modernisiererin der CDU? Die alten Reformer der Partei sehen es skeptisch und befürchten einen Rechtsruck der Partei ■ Von Eberhard Seidel
Berlin (taz) – Die CDU ist eine merkwürdige Partei. Jahrelang nahm sie den Reformern die Luft zum Atmen, war paralysiert gegenüber jeglicher personeller Erneuerung. Und nun steigt ausgerechnet Angela Merkel wie ein Phönix aus der Asche auf – schon ist sie eine Heldin.
Die Partei muss sich vom „alten Schlachtross“ Kohl lösen. Seit dem späten und öffentlichen Bruch der CDU-Generalsekretärin mit ihrem politischen Ziehvater bekommt „das Mädchen“ eine neue Rolle verpasst. Für die Vorsitzende der Jungen Union, Hildegard Müller, ist Angela Merkel seit ihrer Kohl-Abrechnung in der FAZ nichts weniger als „die entschiedenste unter den Reformern“. Und der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz verspricht: „Ich unterschreibe jede Zeile des Briefes von Angela Merkel.“ Auch Eckardt Rehberg, CDU-Fraktionschef von Mecklenburg-Vorpommern, sieht „einen mutigen Schritt und eine realistische Einschätzung der Lage in der CDU“. Der Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim krönt Merkel gar zum „mutigsten Mann in der CDU“. „Es besteht durchaus die Gefahr, dass ein solch klares Wort gegen sie zurückschlägt“, so Arnim weiter.
Eine beachtliche Karriere für eine Frau, die bislang vor allem durch ihre Treue zu Helmut Kohl aufgefallen ist und weniger als Unterstützerin der Reformer. Die erst den Mut für respektlose Worte fand, seit der Patron durch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen angeschlagen in der Ecke steht.
Wer nun glaubt, dieser Reformeifer erfasse breite Teile der CDU, sieht sich getäuscht. Auf Skepsis stößt Merkel ausgerechnet bei den früher als „Junge Wilde“ bezeichneten Reformern, die sich auffallend ruhig verhalten. So meint der saarländische Ministerpräsident Peter Müller nur: „Klar, dass es ein Leben in der CDU nach Helmut Kohl gibt. Dies ändert aber nichts daran, dass sich die Partei der Bedeutung Kohls bewusst ist und sein Erbe anerkennt.“
„Die Partei ist an Vorgaben von oben gewöhnt“
Die Zurückhaltung ist mehr als eine späte Loyalität gegenüber Kohl, an dem man sich über lange Jahre vergeblich abarbeitete. Die „alten“ Reformer wissen: Es braucht einen langen Atem, um eine so ausgelaugte Partei wie die CDU wieder auf flotten Kurs zu bringen. „Unter sechs Jahren“ sei „da wenig zu machen“, meint ein anderer aus dem Kreis der „Jungen Wilden“. „Denn unter dem so genannten System Kohl wurde zwei, drei Generationen von CDU-Politikern das Rückgrat gebrochen“, so der heutige Bundestagsabgeordnete. „Wir haben es heute mit einem Parteinachwuchs zu tun, der vom Fall der Mauer und der Euphorie der Wiedervereinigung geprägt wurde. Und diese Generation ist an Vorgaben gewöhnt, auf die sie auch heute wartet. Das alles zeigt, wie tief in der Partei man bei einer Reform ansetzen muss.“
Merkel kann derzeit nur wenig auf Leute wie den Europa-Experten zählen: „Sie mag vielleicht mutig sein, aber eine Erneuerung der Partei ist mit einem FAZ-Artikel nicht zu machen. Vor allem: Wohin sollte uns eine inhaltliche Erneuerung bringen? Etwa weg von den Vorstellungen vor allem des jüngeren Kohl? Soll seine Absage an das Nationale, sein Bekenntnis und sein Engagement für Europa auf den Prüfstand? Sein Wirken gegen eine Rechtsentwicklung innerhalb der CDU?“ Der älter gewordene „Junge Wilde“ ist sich sicher, dass es unter der Federführung Helmut Kohls eine Unterschriftenaktion gegen die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts nicht gegeben hätte.
Wohin sich die CDU in der nächsten Zukunft entwickeln wird, ist deshalb noch offen. Für den ehemaligen Weggefährten Peter Müllers gibt es zwei Möglichkeiten: „Verlieren wir im nächsten Jahr die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein Westfalen und stabilisiert sich die Regierung Schröder, dürfte die Versuchung für die CDU groß sein, sich nach rechts zu entwickeln.“ Vor allem Wolfgang Schäuble könnte in der Betonung der nationalen Identität gegenüber Europa seine letzte Chance als Kanzlerkandidat für die Wahl 2002 sehen.
Sollte es Merkel gelingen, diesem Prozess entgegenzusteuern, dann besteht für die CDU die Chance auf Erneuerung. Bis dahin hoffen die CDU-Reformer, dass ihnen eine unangreifbare Instanz beim Sturz des Denkmals hilft – die Staatsanwaltschaft Bonn. Die will formell gegen Kohl ermitteln.
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