piwik no script img

Maria mit Hammer und Sichel

Auch im neuen Jahrtausend bleibt Rosa Luxemburg die alte Symbolfigur. Am Rosa-Luxemburg-Platz sind sich alle einig: Die Idee war gut, doch die Welt noch nicht bereit ■ Von Andreas Spannbauer

Im U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz, nicht weit vom Alexanderplatz entfernt, herrscht der Bürgerkrieg. Beim Aussteigen springt dem Fahrgast ein pathetisches Bild des KPD-Führers Karl Liebknecht aus der Zeit des Spartakusaufstands ins Auge. Statt mit Werbung ist der Bahnhof mit Motiven aus jenen Januartagen des Jahres 1919 plakatiert, in denen Luxemburg und Liebknecht, die beiden führenden Köpfe der kommunistischen Bewegung, ihr blutiges Ende fanden. Neben einem Porträt Rosa Luxemburgs prangt vor dem Hintergrund dunkelgelber Kacheln ein Flugblatt von Frontsoldaten: „Arbeiter! Das Vaterland ist dem Untergang nahe! Es wird nicht bedroht von außen, sondern von innen! Von der Spartakusgruppe! Schlagt ihre Führer tot! Tötet Liebknecht! Dann werdet ihr Frieden, Arbeit und Brot haben.“

Auch oben am Rosa-Luxemburg-Platz ist die Erinnerung an die Namenspatronin so verblasst wie die Bilder im Bahnhof, die noch zu DDR-Zeiten im Jahr 1987 installiert worden sind. An der Ecke Weydingerstraße ist das Straßenschild mit dem Namen der 1871 im polnischen Zamost geborenen Sozialistin auf den feuchten Boden gerutscht. „Rosa Luxemburg? Ist das nicht die Kommunistin, die zusammen mit Marx von den Nazis umgebracht worden ist?“, fragt ein Fünfzehnjähriger, leicht verlegen angesichts der eigenen Unwissenheit.

Für andere bleibt die jüdische Journalistin, promovierte Juristin und Politikerin auch im neuen Jahrtausend die Identifikationsfigur schlechthin. Auch nach dem Zusammenbruch des Sozialismus pilgern jeden zweiten Sonntag im Januar hunderttausend schon im Morgengrauen zur Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde. Morgen, wenn sich der Mord zum 81. Mal jährt, dürften es kaum weniger werden. Die Antifa wirbt in den Straßen um den Rosa-Luxemburg-Platz auf Plakaten für die zugehörige Demonstration. Motto: „Für eine starke Linke!“ Motiv: der einstige Schwergewichtsweltmeister und Vietnamkriegsgegner Muhammad Ali. Die Boxlegende, heute an Parkinson erkrankt, kündigte unlängst an, noch einmal in den Ring steigen zu wollen. Am nächsten Tag dementierte Ali: „Ich kämpfe nur noch gegen meine Krankheit.“

Auch die Linke krankt an Bedeutungslosigkeit. Und die mit Abstand größte linke Demonstration in der Bundesrepublik wirkt da wie ein starkes Schmerzmittel, das den geschichtlichen Knockout von 1989 für einen Tag vergessen lässt. „Seit der Wende leiden die Menschen an einem schmerzlichen Verlust an Utopien“, meint der Dramaturg Remsi Alkhalisi vor der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Sicher, Luxemburg sei eine große Frau gewesen, sagt der 32-Jährige. „Aber ob ihre Ideen heute noch eine Bedeutung haben? Ich weiß nicht.“ Alkhalisi zuckt mit den Schultern. Früher hat er als Westberliner Schüler engagiert an der Gedenkveranstaltung am Landwehrkanal teilgenommen. Heute ist der Jahrestag des Mordes aus seinem Gedächtnis gestrichen. Das Lebensgefühl seiner Generation? „Wir haben nichts mehr, wofür wir kämpfen können.“ Wie zur Bekräftigung hat jemand an die Mauer der Volksbühne liebevoll eine rote Arbeiterfaust an die Wand gemalt. Zwischen den Fingern hält sie, Reminiszenz an den Sieg des Südfruchtkapitalismus, eine knallgelbe Banane.

Für andere hier am Rosa-Luxemburg-Platz ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Im „kleinen Buchladen“ im „Karl-Liebknecht-Haus“ in der Weydingerstraße ist ein alter Mann mit Schirmmütze und brauner Lederjacke überzeugt: „Wenn Luxemburg und Liebknecht nicht umgebracht worden wären, wäre in Deutschland einiges anders gelaufen.“ Schon zu DDR-Zeiten ist der pensionierte Bauingenieur an der Tribüne des Zentralkomitees der SED vorbei nach Friedrichsfelde gezogen. Heute denkt er, dass der oft zitierte Ausspruch Luxemburgs von der Freiheit, die immer die Freiheit des Andersdenkenden sei, in der Bundesrepublik nicht verwirklicht ist. „Nehmen Sie doch den Umgang mit der PDS, der hat mit Demokratie doch nichts zu tun.“

Draußen vor der Tür des Karl-Liebknecht-Hauses erinnert eine bronzene Tafel an den KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann. Von 1926 bis 1933 hatte hier das ZK der Partei seinen Sitz. Heute ist in dem Eckhaus der Vorstand der PDS angesiedelt, der auch dieses Jahr Blumen vor dem Porphyrstein mit der Aufschrift „Die Toten mahnen uns“ niederlegen wird.

Dass Rosa Luxemburg, erst Ende 1918 aus der Haft entlassen, den Kampf für ihre politischen Ideale am 15. Januar 1919 mit dem Leben bezahlte, Freikorps ihre Leiche in den Landwehrkanal warfen, aus dem sie erst Monate später geborgen wurde – nur anhand der Kleiderreste konnte sie identifiziert werden –, das ist für die Schülerin Andrea Gudera aus Prenzlauer Berg nicht mehr vorstellbar. „Die muss ganz schön fanatisch gewesen sein, wenn sie dafür ihr Leben gegeben hat“, sagt sie. Die Idee des Sozialismus ist für die 23-Jährige passé. „Das sieht man doch am Sozialstaat, für den die Regierung kein Geld mehr hat.“ Aber bewegt habe sie damals schon etwas, die Luxemburg, das müsse man ihr lassen.

Rosa Luxemburg ist ein Paradoxon. Keiner der Passanten auf dem Platz, der über die KPD-Gründerin schlecht sprechen würde. Aber auch keiner, der ihrem Lebenswerk noch irgendeine Aktualität beimessen würde. Bei den meisten ist die kleine, ebenso gebrechliche wie resolute Frau als eine Art Maria mit Hammer und Sichel im Bewusstsein geblieben. Eine unbefleckte Vorkämpferin für eine Diktatur des Proletariats, die sie nie zu verantworten hatte. Eine Ikone des „echten Sozialismus“, wie die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) regelmäßig in ihren Flugblättern schreibt. Eine, die als Vorkämpferin für die Spontaneität der Massen ihren Ruhm erlangt hat, obwohl gerade diese Massen nach vier Jahren Weltkrieg lieber ihre Ruhe haben wollten, als sich am Spartakusaufstand der KPD zu beteiligen.

Trotz alledem hält auch Dieter Reimann die Kommunistin für eine wichtige Person. „Aber dass die Sache, die sie wollte, noch machbar ist, bezweifle ich.“ Für den Feinmechaniker aus Treptow ist die Marktwirtschaft „sicherlich das bessere Prinzip“, auch wenn er zwischenzeitlich arbeitslos war. „Die Sache“, räsonniert Reimann über den Sozialismus der Rosa Luxemburg, „ist wohl durch die DDR auf Jahrzehnte belastet.“

Ein junger Vater geht über den Platz. Er attestiert Luxemburg den Kampf „für das Wohl aller Menschen, unabhängig von irgendwelchen Klassen“. Auch eine alte Frau verliert ein, zwei Sätze über die „kluge, bedeutende Rosa Luxemburg“. Dann muss sie schnell zum Bus. Schon die KPD-Theoretikerin wusste in ihrem letzten Zeitungsartikel: „Die Revolution hat keine Zeit zu verlieren.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen