Letzte Ausfahrt: Wirklichkeit: Die Stulle nach dem Schiss
Keiner ist so schlimm wie Wim: Neue Nazis und alte Jungfilmer
Nun also zu „Der Neue Gott“: Ein junges japanisches Pärchen bemerkt einen „Mangel an verbindlichen großen Erzählungen“ (ihre Worte) und beschließt daher, zu den Faschisten zu gehen. Sie gründen eine Band, die „Revolutionäre Wahrheit“, um mit sehr schwachem Punkrock ihre Botschaft zu verbreiten. Der junge Regisseur Yutaka Tsuchiya, der sich bis dato durch linke Filme ausgezeichnet hat, will einen Dokumentarfilm über die beiden drehen. Schnell begeistert er sich für „die Energie“ des jungen Paares. Dem Mädchen gibt er eine Videokamera, damit sich das narzisstische Geschöpf endlos vorm Schlafengehen selbst dokumentieren kann.
Interessanter als dieses redundante Videotagebuch, in dessen Verlauf sich dann auch die Liebesgeschichte mit dem Filmer anbahnt, ist ein Ausflug, den die niedliche New-Romantic-Nazi-Sängerin nach Nordkorea unternimmt: Auf Vermittlung ihrer Nazi-Truppe und eines ehemaligen Anführers der Roten Armee trifft sie sich in Pjöngjang mit den so genannten Hijackern: linken japanischen Terroristen, die in den frühen 70ern bei einer Flugzeugentführung nach Nordkorea geflohen sind, noch heute dort leben und davon träumen, gemeinsam mit netten Jungnazi-Mädchen die japanische Rasse zu befreien. Wie überall auf der Welt bringen alle Jungfaschos in diesem Film ca. 20mal den Spruch, dass rechts und links überholte Kategorien seien – an dem Satz kannst du einen Rechten, der noch was vorhat, von einem unterscheiden, der sich mit einer Operettennazi-Existenz abgefunden hat. Und (ehemalige) Maoisten fallen da gerne ein.
Bizarr war dann der Auftritt des „linken“ Regisseurs und seiner rechten Freundin vor dem Berlinale-Publikum. „Wer hat sich denn in der Beziehung durchgesetzt?“, fragte euer Kolumnist. Nun, er wolle sie immer auf seine Seite rüberziehen, gestern Abend habe sie sogar geweint, gibt die postmoderne Rassistin zu Protokoll. Als ich wissen will, was auf ihrer Schärpe, ihrem Fächer und ihrer Armbinde steht, macht der sympathische Übersetzer erst einen Versuch, um dann leicht angewidert in etwa das Äquivalent von „Sieg Heil!“ mitzuteilen.
Ehemalige westdeutsche Terroristen, die in das ostdeutsche Nordkorea-Äquivalent wechselten, hatten es dort wesentlich leichter: In der DDR regierten nämlich liebe Linke, die noch was wollten von der Welt, und auch die Stasi war von kumpeligen Idealisten unterwandert.
Wie dieser Film von Schlöndorff, den der Berliner Die Stulle nach dem Schiss“ nennt, jeden, aber auch jeden nennenswerten Konflikt umkurvt, korrespondiert mit seiner kompletten Glanzlosigkeit bis hin zur ästhetischen Feigheit. Den seit den 70er-Jahren ausgetragenen Wettbewerb, welcher ewige Jungfilmer eigentlich unerträglicher ist, Schlöndorff oder Wenders, entscheidet aber doch „der Wim“ für sich – obwohl Schlöndorff die RAF oder 2.-Juni-Leute (der Unterschied ist ihm eh egal) schon nach 2 Minuten sagen lässt: „Schwein oder Mensch? Du musst dich entscheiden.“ Trotz allem: Keiner ist so schlimm wie Wim.
Becq zu meinem zweiten Feind: Eine gute Nachricht für alle, die finden, dass ich zu gemein zu Houellebecq gewesen bin. Ich habe eine Frau für ihn. Laetitia Masson und er haben sich nämlich verdient. Sie interessiert sich für Psychoanalyse, so wie er’s gern hat. Sorry, aber ich verstehe nicht, warum so viele Leute, auf deren Meinung ich etwas gebe, „Love Me“ so toll gefunden haben. Fantasien als Plots zu gestalten ist nicht das Problem, aber warum passieren in den Fantasien immer so langweilige und abgedroschene, differenzfeministische Dinge: DIE FRAU und ihre DREI MÄNNER: der Papa, der Elvis und der Lacan? Weder Johnny Halliday als mindestens zwei davon noch die Einklammerung in zwei Versionen von „Heartbreak Hotel“, einmal von Elvis, einmal von Lacan, äh, John Cale, konnte da helfen. Dann schon lieber John Cales Musik zu American „Psycho“ – dem besten Film des Wettbewerbs, wenn er nicht außer Konkurrenz liefe.
Mary Harron hat den ausladenden Roman auf einen straighten Film gebracht, ohne das, was an dem Ausladenden wichtig war, geopfert zu haben. Wenn Bateman (super: Christian Bale) jetzt eine seiner berühmt liebevollen Plattenkritiken über sagenhaft ausgesuchte 80er-Jahre-Mainstream-Scheußlichkeiten vorträgt, wissen wir, dass es gleich gefährlich wird. Die Dialektik aus einer kompletten Anpassung (die Personen verwechseln einander ständig) und gaga gegangenen Unterscheidungen (Marken, Restaurants, Körperpflege etc.) kommt in dem verzweifelt irren Versuch zu sich, ausgerechnet an Huey Lewis & the News große Feinheiten und utopische Qualitäten in einer klischeehaft-kunstkritischen Sprache zu beschreiben, die nicht einmal der Rolling Stone spricht – trotzdem gab es auch in diesem Film ein paar Momente zu deutlich ausgestellter und ideologischer „Messages“ gegen den „menschenverachtenden“ Yuppie-Scum, wo der kulturkritische Punkt des Buches doch eher ist, dass die Menschheit, von der Kretins wie Huey Lewis oder Phil Collins reden, und die kapitalistischen Karikaturen, die Bateman real begegnen, in seinem nicht ganz unwahren Wahn komplett auseinander fallen, einfach nicht mehr dasselbe sind. Diedrich Diederichsen
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