piwik no script img

Geburtshilfeverweigerung

■ Taxifahrer soll Freund einer Hochschwangeren Weg-Auskunft verweigert haben: Gericht stellte seine Schuld fest, aber das Verfahren gegen eine Geldbuße ein

Es war eine komplizierte Schwangerschaft: Erstgeburt, Zwillinge, 31. Schwangerschaftswoche. Dann platzt plötzlich die Fruchtblase. Die Frau fährt auf Rat ihres Gynäkologen mit ihrem Freund nach Bremen – von ihrem Wohnort Bremerhaven aus, im Juli vor einem Jahr. Sie wollte ihre Kinder in der St.-Jürgen-Klinik zur Welt bringen, weil man dort auf komplizierte Geburten spezialisiert ist. Doch in Bremen kannten sich die beiden nicht gut aus. Der Schwangeren ging es schlecht, sie hatte Schmerzen und war aufgeregt. An einer roten Ampel fragte ihr Freund Manfred H. einen Taxifahrer nach dem Weg. Was danach passierte, war gestern ein Fall für die Justiz: Der um Hilfe Gebetene stand am Mittwoch wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht.

Denn er soll bereits abgewunken haben, als der auskunftssuchende Freund der Schwangeren auf den Wagen zugegangen war, berichtete dieser vor Gericht. Die Fruchtblase seiner Frau sei geplatzt, habe er dem Taxifahrer erklärt. Sie müsse dringend ins Krankenhaus. Doch das habe den Mann nicht beeindruckt: Er hätte die Scheibe hochgekurbelt, ohne zu antworten Gas gegeben – und sei ihm beinahe noch über den Fuß gefahren. Erst als er dem Taxi mit seinem eigenen Auto bis zur nächsten Ampel hintergefahren war, erhielt er dort schließlich von einer anderen Autofahrerin die nötige Auskunft. Der Taxifahrer dagegen ergänzte in einem entschuldigenden Tonfall nur: Er hätte keine Zeit und müsste dringend zur Zentrale.

Das bestritt der Beschuldigte ges-tern vehement: Er sei gerade mit einem Fahrgast auf dem Weg zum Osterdeich gewesen, als Anzeigensteller Manfred H. an die Scheibe klopfte und nach dem Weg fragte. Sehr wohl hätte er ihm den Weg erklärt. Aber dann hätte der Mann verlangt, ihn zum Krankenhaus zu fahren. Dagegen aber hätte sein Kunde im Taxi protestiert. Der werdende Vater sei daraufhin wieder in sein Auto gestiegen. Dass es sich um einen Notfall handele, hätte er überhaupt nicht erwähnt.

Eine Version indes, die der betreffende Taxi-Kunde nicht wirklich untermauern konnte. Denn der bestärkte zwar die Aussage des Taxifahrers, konnte aber weder beschwören, dass es sich bei dem Auskunftssuchenden tatsächlich um Manfred H. gehandelt hatte – und auch an das genaue Datum konnte er sich nicht mehr erinnern.

Staatsanwaltschaft und Gericht schenkten daher der Version des jungen Vaters mehr Glauben. Seine Aussagen stimmten genau mit den ersten Zeugenangaben bei der Anzeigenerstattung im Polizeirevier überein – während die Angaben vom Taxifahrer und seinem Fahrgast durch viele Erinnerungslücken aufgefallen waren. In seinem Plädoyer machte der Staatsanwalt deutlich, dass der Angezeigte aufhören sollte, den vorgefallenen Sachverhalt zu leugnen. „Sie können dann mit einer Einstellung des Verfahrens rechnen“, sagte er zu dem 58-jährigen schwerbehinderten Mann. Zu seinen Gunsten spräche, dass er nicht vorbestraft sei und zudem schwer krebskrank, urteilte auch der Richter zum Schluss der Verhandlung. „Aber das, was sie getan haben, tut kein Mensch. Das ist eine Missachtung der Regeln des menschlichen Zusammenlebens“, gab er dem Mann mit auf den Weg, der sich zu der angebotenen Verfahrenseinstellung gegen eine Geldbuße von 500 Mark einverstanden erklärte.

Aber mit der schwierigen Fahrt nach Bremen waren die Probleme noch lange nicht zu Ende: Die Zwillinge kamen erst zwei Tage später auf die Welt. Sie trugen zwar trotz aller widrigen Umstände keine bleibenden Schäden davon. Aber der Ratschlag des Bremerhavener Gynäkologen, die Frau in ihrem Zustand nach Bremen zu fahren, ist unter Fachleuten umstritten. „Grundsätzlich wird angeraten, Risikoschwangere noch vor der Geburt in die wenigen Spezialkrankenhäuser zu bringen“, sagt zum Beispiel Dr. Götz Menke, Oberarzt der Frauenklinik am St.-Jürgen-Krankenhaus. Die Einschätzung dafür liege aber im Ermessen des Frauenarztes. Und eine Bremer Hebamme sagt: „Bei so einem kritischen Fall hätte ich erst mal sichergestellt, dass es den Zwillingen noch gut geht, bevor ich die Eltern losgeschickt hätte.“ WiJo

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen